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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Sonnenschirm. „Aber ich kam zufällig vorbei und hörte
    „Ich hätte das lange nicht so gut erklärt“, unterbrach sie der Apotheker aus Berlin. „Ich bin überhaupt nicht eingeschnappt, nicht die Bohne.“
    Eine halbe Stunde später schlenderten sie von der Avenida Urdaneta zur Plaza Bolivar.
    Caracas ist eine laute Stadt mit Wolkenkratzern wie in Manhattan, Häusern wie aus der Kolonialzeit und überfüllten Geschäftsstraßen.
    Die Männer trugen farbige Bänder um ihre Strohhüte und knallbunte Hemden.
    Auf den Gehsteigen gab es offene Stände mit Silberschmuck, Ketten, Schallplatten, venezolanischen Fahnen und Ansichtskarten wie auf einem Wochenmarkt. Burschen in allen nur denkbaren Hautfarben verkauften Lose oder Eintrittskarten zum Stierkampf. Bettler streckten die Arme aus oder hockten neben ihren offenen Hüten. Und überall schwirrten kleine Jungen durch die Gegend und wollten Schuhe putzen. „Amigo“, riefen sie, zeigten grinsend ihre weißen Zähne und trommelten mit ihren Bürsten auf die Holzkisten. Andere hatten es bereits zu gepolsterten Stühlen gebracht, die wie Thronsessel nebeneinander am Straßenrand standen.
    „Wenn es so etwas wie einen Weltrekord in blankgeputzten Schuhen geben würde“, bemerkte Herr Wagner, „wäre Caracas bestimmt nicht zu schlagen.“ Und dann fragte er: „Was ist denn das?“
    Mitten auf einer Straße waren nämlich Jungen und Mädchen beim Rollschuhlaufen wie auf einer Eisbahn. Laute Musik spielte dazu, und zwischendurch krachten immer wieder Raketen und Knallfrösche in die Luft, zerplatzten und fielen als Funkenregen wieder vom Himmel.
    „Navidad“, erklärte die Señora mit dem zitronengelben Sonnenschirm. „Weihnachten.“ Sie lächelte. „Das ist bei uns kein stilles Fest. Da ist doch Christus geboren, und ein Geburtstag kann nicht laut genug gefeiert werden. Und das geht dann gleich weiter bis Sylvester und bis zum Karneval . Wie hier bleiben jetzt zum Rollschuhlaufen und Tanzen ganze Straßen gesperrt.“
    Sie nahm wieder einmal ihren Lautsprecher vor den Mund und gab bekannt: „In einer Viertelstunde treffen wir uns alle am Capitol, wo ein Bus bereitsteht.“
    Die Finkbeiners und Wagners trabten jetzt zur Post, die sie gleich dicht neben einem Denkmal entdeckt hatten, und kritzelten auf ein gutes Dutzend Ansichtskarten ihre Grüße und ihre Namen.
    „Mein geliebtes Gipsbein“, schrieb Herr Wagner an seine Frau in Berlin. Er versprach für den nächsten Hafen einen ausführlichen Brief und bat anschließend noch Ulli und die Finkbeiners um ein paar Worte und ihre Unterschrift. Auf der Vorderseite der Karte stand in Goldbuchstaben: „Grüße aus Caracas.“
    Als sie wieder aus der Post herauskamen, blickten sie zu dem Standbild hinauf. Es zeigte Bolivar den Befreier in Bronze gegossen auf einem Pferd, das sich steil aufgerichtet hatte und mit den Vorderhufen durch die Luft wirbelte. Der Held saß dabei furchtlos und aufrecht im Sattel. Er hatte den Blick in die Ferne gerichtet und den Hut mit der rechten Hand zum Gruß ausgestreckt. „Wollen wir ihn noch schnell abknipsen?“ fragte Ulli. „Eigentlich können wir uns das sparen“, meinte der Portier aus dem Hotel Kempinski in Berlin. „Diese Denkmäler sind doch alle gleich. Wenn man eins fotografiert hat, hat man alle fotografiert. Man müßte nur die Köpfe auswechseln.“
    „Dann bitte ich um Entschuldigung“, meinte Ulli
    Wagner mit einer kleinen Verbeugung zu dem Standbild hinauf und klappte seine Kamera wieder zu.
    Vor dem weißen Capitol mit seinen Kuppeln aus Gold, seinen Palmen und seinem Springbrunnen kletterten sie dann in den Autobus und fuhren los.

    Und etwa im gleichen Augenblick, als die schwarzhaarige Señora mit dem zitronengelben Sonnenschirm über ihren Handlautsprecher bekanntgab: „Links haben Sie jetzt einen Blick auf die Kathedrale mit ihrer weltberühmten Gemäldesammlung“, sagte in eben diesem Gebäude Monsieur Prunelle aus Paris: „Das ist aber eine Überraschung.“ Er hatte gerade im zweiten Stockwerk der Kathedrale einen Saal betreten und dabei den Streichholzfabrikanten Mister Wilkinson entdeckt, der nachdenklich und beinahe abwesend vor einem der ausgestellten Bilder stand. Der Straßenlärm wurde durch die geschlossenen Fenster gedämpft, und auf dem Marmorboden lagen Teppiche. Andere Besucher gab es nicht.
    „Ich bin wirklich überrascht“, sagte der Direktor des Louvre noch einmal. Er war wieder so elegant angezogen, als sei er frisch aus einem Heft

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