Der gelbe Handschuh
sangen sie alle mit, jeder in seiner Sprache. Anschließend kam der Schiffsarzt als Neptun verkleidet und versprach auch für die nächsten zwei Wochen schönes Wetter mit ruhiger See.
Der Kapitän hielt eine kurze Ansprache, wünschte fröhliche Weihnachten und weiterhin gute Fahrt.
Ein Rechtsanwalt aus Leverkusen bedankte sich hinterher im Namen der Passagiere.
Und jetzt betrat zum allgemeinen Erstaunen der junge Inder namens Singh Rumi die Tanzfläche. Er hatte sich heute einen eleganten Smoking angezogen. Dazu trug er über seinen langen Haaren einen Turban aus schwarzer Seide, auf dem eine ganze Menge bunter Perlen und Pailletten aufgenäht waren. Als dann ein roter Scheinwerfer eingeschaltet wurde, glitzerten und flimmerten sie mit dem Weihnachtsbaum nur so um die Wette.
Der schlanke Inder stellte jetzt einen großen Korb neben sich und faltete die Hände vor der Stirn.
„Auch wir haben uns eine kleine Überraschung ausgedacht“, sagte Fräulein Lisa Liranda und stand dabei von ihrem Tisch auf. „Aber sehen Sie selbst.“ Sie lächelte und zeigte mit dem ausgestreckten Arm zur Tanzfläche.
Dort hatte sich der junge Inder inzwischen mit gekreuzten Beinen auf den Boden gesetzt. Er holte jetzt eine Flöte hervor und öffnete den Deckel des Korbes, der vor ihm stand.
„Aha, heute kommt er uns als Schlangenbeschwörer“, flüsterte Ulli und legte die Beine übereinander.
Und da verschlug es auch schon allen Passagieren die Sprache. Der junge Inder spielte nämlich auf seiner Flöte die Melodie von „O du fröhliche, o du selige“. Dabei hatte er die Augen geschlossen und beschrieb mit seiner Flöte ganz kleine Kreise.
Niemand im Saal rührte sich, alle blickten gespannt auf die Öffnung des Korbes im Licht des roten Scheinwerfers.
Dort bewegte sich jetzt zuerst ein Schatten, und dann wurde der Kopf einer Kobra sichtbar. Sie spreizte ihren Nackenschild und kam immer höher. Ein Drittel ihres Körpers hatte sich schließlich senkrecht aufgerichtet und schwankte genauso wie die Flöte im Rhythmus des Liedes hin und her.
Jetzt klatschten die Passagiere in die Hände.
Darauf nahm der junge Inder seine Flöte wieder von den Lippen, die Kobra fiel in ihren Korb zurück, und Fräulein Lisa Liranda konnte sich vor Lachen kaum noch halten.
„Etwas ungewöhnlich“, bemerkte der Apotheker Finkbeiner. „Eine Schlange, die auf Weihnachtslieder tanzt.“
„Wenn sie dabei noch eine Christbaumkugel auf der Nase balanciert hätte“, fügte Herr Wagner hinzu, „wäre die Sache perfekt gewesen.“
Der junge Inder mit dem Namen Singh Rumi hatte sich inzwischen mehrfach verbeugt. Jetzt verschwand er mit seinem Schlangenkorb und dem schwarzen Seidenturban wieder hinter dem goldglitzernden Vorhang.
„So habe ich mir immer einen Maharadscha vorgestellt“, bemerkte Frau Finkbeiner.
Jetzt kamen mehrere Matrosen und Stewards von ihren Stehplätzen, stellten sich nebeneinander vor den Weihnachtsbaum und sangen Lieder von der Waterkant.
Dann endlich war es soweit.
Zuerst stolzierte Monsieur Prunelle durch die breite Glastür und verkündete: „Meine Damen und Herren, sie ist im Anzug!“
Plötzlich saß der ganze Saal wie auf Kohlen, und alle drehten die Köpfe in Richtung zum Eingang.
Dort tauchte jetzt Mister Palmer auf. Er überflog mit einem schnellen Blick die Passagiere und die Tische. Dann postierte er sich mit undurchdringlichem Gesichtsausdruck neben der Glastür und winkte mit dem rechten Zeigefinger.
Und jetzt kam das Gemälde.
Es wurde von zwei Matrosen in frischgebügelten Uniformen getragen. Ein dritter hatte die Staffelei über der Schulter, an der sonst vor dem Speisesaal das Bordprogramm ausgehängt wurde.
Der Erste Offizier überholte jetzt die Gruppe und dirigierte sie zur Tanzfläche.
Die Passagiere verfolgten die Prozession mit ihren Blicken. Dabei saßen sie stumm und andächtig in ihren Sesseln.
Die Staffelei wurde kaum zwei Meter von Inspektor Brown entfernt auf der Tanzfläche aufgebaut, und als die zwei Matrosen das Bild jetzt ganz vorsichtig darauf stellten, sahen die Passagiere die Mona Lisa zum erstenmal. Sie machte den Eindruck, als würde sie ein wenig verwundert in den Saal blicken.
Und da war es mit der Ruhe vorbei.
Die Passagiere waren von einem Augenblick zum anderen wie ausgewechselt. Sie klatschten jetzt in die Hände, riefen „Bravo“ und waren ganz einfach aus dem Häuschen.
Es brauchte eine ganze Weile, bis sich Monsieur Prunelle Gehör verschaffen
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