Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
Vom Netzwerk:
konnte.
    „Da steht sie vor Ihnen, meine Damen und Herren“, rief der Museumsdirektor aus Paris in den Saal. „Mona Lisa. Kein anderes Bild auf der ganzen Welt ist so berühmt und so bekannt. In den rund vierhundertfünfzig Jahren sind die Farben allerdings ein wenig dunkler geworden, und oben in der Mitte ist links über dem Kopf auch eine leichte Bruchstelle zu erkennen. Aber ansonsten ist uns Leonardos Gemälde in seiner ganzen Schönheit erhalten geblieben.“
    Man applaudierte wieder, und dann durften die Passagiere einzeln an dem Bild vorbeispazieren. Dazu stellten sie sich vor der Tanzfläche hintereinander auf, als müßten sie an irgendeinem Fahrkartenschalter Schlange stehen.
    „Darf man auch eine Blitzlichtaufnahme machen?“ fragte Ulli, als die Wagners und Finkbeiners an der Reihe waren.
    „Aber selbstverständlich, junger Freund“, lächelte Monsieur Prunelle. Und dann sagte er noch: „Bitte achten Sie darauf, daß Sie von den Augen der Mona Lisa immer voll angeblickt werden, gleichgültig ob Sie links oder rechts von ihr stehen.“
    „Tatsächlich“, bemerkte Herr Latenser und schlich dabei wie ein Indianer im Halbkreis um das Bild herum. „Sie läßt mich überhaupt nicht aus den Augen.“
    „Und für eine vierhundertfünzig Jahre alte Dame sieht sie noch sehr jung aus“, witzelte Frau Schmidt mit dt.
    „Das ist also das berühmte Lächeln der Mona Lisa“, piepste die Schlangentänzerin Liranda. „Eigentlich hatte ich mir das Gemälde größer vorgestellt.“
    „Genau dreiundfünfzig Zentimeter breit und siebenundsiebzig lang“, bemerkte der Direktor des Pariser Louvre ein wenig beleidigt. „Es kommt nicht auf die Größe an.“

    Inspektor Brown machte in seinem Sessel den Eindruck, als würde er sich langweilen. In Wirklichkeit beobachtete er durch seine dunkle Sonnenbrille alles, was um das Bild herum vorging, haargenau und war wie ein Panther jederzeit zum Sprung bereit.
    „Noch etwa vierzig Passagiere, und wir sind durch“, flüsterte der Erste Offizier mit den drei Goldstreifen an seinen weißen Uniformärmeln. Er stand jetzt neben Mister Palmer an der Glastür. „In fünf Minuten ist alles vorbei.“
    Ronny rollte seine Tante gerade zur Tanzfläche, als zwei oder drei elektrische Kerzen am Weihnachtsbaum anfingen zu flackern. Kurz darauf flimmerten auch die übrigen Kerzen, und dann ging auf einen Schlag im ganzen Saal das Licht aus.
    Die Passagiere lachten, redeten durcheinander und tasteten sich mit ausgestreckten Armen zu ihren Plätzen zurück.
    „Komm, spiel mit mir Blindekuh“, kicherte Frau Finkbeiner und nahm ihren Mann bei der Hand.
    „Bitte bleiben Sie stehen, wo Sie sind“, rief plötzlich die Stimme von Mister Palmer. „Und verhalten Sie sich ruhig.“
    „Es kann nur Sekunden dauern“, sagte jetzt Kapitän Stahlhut. Und dann fragte er laut: „Was ist denn mit der Notbeleuchtung, verflixt noch mal?“
    Die Passagiere blieben jetzt artig auf ihren Plätzen und hielten den Mund. Das wäre auch noch eine ganze Weile so geblieben, wenn nicht plötzlich Mrs. Fuller mit ihrer tiefen Stimme in die Stille hinein gesagt hätte: „Ich glaube, mir ist gerade eine Schlange über das linke Bein gekrabbelt.“
    Jetzt dachte natürlich kein Mensch mehr an die Mahnung von Mister Palmer. Alle redeten wieder durcheinander, und die meisten kletterten auf ihre Sessel oder drängten zum Ausgang.
    Bordfotograf Weber war ganz aufgeregt. Er fingerte im Dunkeln an seinem Fotoapparat herum und blitzte einfach zweimal durch die Gegend. Als er gerade zum drittenmal abdrücken wollte, leuchtete plötzlich wieder der Weihnachtsbaum auf und hinterher das Licht im ganzen Saal.
    Zuerst wurde es daraufhin ganz ruhig, und die Passagiere blickten sich nur erstaunt an, wie sie sich da auf den Sesseln gegenüberstanden oder sogar auf den Tischen.
    „Es ist bestimmt keine Schlange im Saal“, sagte jetzt der junge Inder mit seinen glitzernden Perlen und Pailletten auf dem schwarzen Seidenturban. Er nahm den Deckel von seinem Korb, und sofort zeigte sich der Kopf der Kobra. „Sie ist da, wo sie hingehört“, fügte er lächelnd hinzu, verbeugte sich und verschwand mit der Schlange wieder hinter dem Vorhang.
    „Sollte ich mich tatsächlich getäuscht haben?“ fragte Mrs. Fuller. „Aber ich hab’ doch was gespürt.“
    „Dein Schal ist dir übers Bein gerutscht“, lächelte Ronny.
    „Tja, wenn es dunkel ist“, bemerkte Mister Wilkinson, „schlägt unsere Phantasie

Weitere Kostenlose Bücher