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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Mister Palmer blitzschnell den gelben Lederhandschuh vom Boden aufhob und in seine Jackentasche steckte. Gleich darauf flitzte er wieder los und holte das Gemälde kurz hinter der großen Glastür ein.
    Die Bordkapelle spielte einen Tusch, und dann betrat Kapitän Stahlhut noch einmal die Tanzfläche: „Ich bitte für alles, was eigentlich nicht im Programm stand, um Entschuldigung“, sagte er. „Und jetzt wünsche ich Ihnen endgültig fröhliche Weihnachten.“
    Gleich darauf galoppierten die Stewards wieder mit Getränken von einem Tisch zum anderen, und die Passagiere sangen noch einmal Weihnachtslieder.
    „Man lernt nie aus“, bemerkte Frau Finkbeiner. „Ein Heiliger Abend kann auch ganz schön aufregend sein.“
    „Und Zufälle gibt’s, die gibt’s gar nicht“, fügte ihr Mann, der Apotheker, wieder einmal hinzu. Dabei blinzelte er durch seinen Zigarrenrauch in die elektrischen Weihnachtskerzen.
    Zur selben Zeit fuhr die vierhundertfünfzig Jahre alte Dame Mona Lisa mit ihrer Begleitung im Lift zum B-Deck.
    „Als da auf einmal das Licht ausging“, sagte Monsieur Prunelle nach einer Weile, „also ich glaubte, mir bricht der Boden unter den Füßen zusammen.“ Er blickte zuerst zu Inspektor Brown und dann zu Mister Palmer. „Ich möchte mich entschuldigen, meine Herren. Ich hätte es niemals erlauben dürfen.“
    „Wir sind ja mit einem blauen Auge davongekommen“, sagte Mister Palmer kurz und steckte sich eine Pfeife an.

Mister Palmer springt aus dem Bett

    Mister Palmer wachte erst auf, als es zum viertenmal leise an die Tür klopfte.
    Er knipste die Nachttischlampe an und fragte: „Wer ist da?“
    Aber anstelle einer Antwort wurde ein zusammengefaltetes Stück Papier durch den Türspalt in die Kabine geschoben.
    Mister Palmer sprang aus dem Bett. Er drehte den Schlüssel herum und riß die Tür auf.
    „Hätte ich mir denken können“, murmelte er ärgerlich.
    Kein Mensch war zu sehen. Der Korridor war links genauso leer wie rechts. Nur die ungeputzten Schuhe der Passagiere standen herum.
    Mister Palmer fuhr sich durchs Haar und schlurfte in seine Kabine zurück. Er machte die Tür wieder hinter
    sich zu, und dann bückte er sich nach dem Stück Papier, das jetzt direkt vor seinen nackten Füßen lag.
    Irgend jemand hatte folgendes mit großen Druckbuchstaben darauf geschrieben:
    DIE MONA LISA IN IHREM TRESOR IST EINE FÄLSCHUNG.
    DAS ORIGINAL IST HEUTE ABEND AUS DER HALLE GEKLAUT WORDEN.
    „Das darf nicht wahr sein“, sagte Mister Palmer zu sich selbst. „Da will mich nur jemand auf den Arm nehmen.“
    Er las den Zettel zum zweitenmal, und dann drehte er ihn von der einen Seite auf die andere. Er prüfte das Papier zwischen Zeigefinger und Daumen. Schließlich hielt er es gegen die Nachttischlampe und suchte nach einem Wasserzeichen oder dergleichen.
    Als er sich wieder aufrichtete, sah er sein Gesicht im Spiegel.
    „Und wenn es doch...?“ fragte er sich. Aber er hatte nicht den Mut, sich zu antworten.
    Er starrte sich noch acht oder zehn Sekunden in die eigenen Augen. Dann wußte er, was er zu tun hatte, und stürzte los.
    „Ich trommle sie alle aus den Betten“, knurrte er, als er sich seinen Morgenmantel mit den blau-roten Streifen über die Schultern warf. Er zerrte den gelben Lederhandschuh aus seiner Jackettasche, und gleich darauf flitzte er an den abgestellten Schuhen vorbei durch den Korridor zum Lift.
    Erst nachdem er fünfmal auf den Knopf gedrückt hatte, fiel ihm ein, daß die Aufzüge um diese Zeit ja längst abgestellt waren. „Jetzt ist schon alles egal“, schimpfte er und rannte die Treppe hoch.

Von einem Gemälde, mit dem man die Fische füttern kann

    Kurz vor Mitternacht nahm das Schiff seine Geschwindigkeit noch einmal um zwei Knoten zurück.
    „So werden wir genau um sieben Uhr vor Barbados aufkreuzen“, meinte der Erste Offizier.
    Die See war ruhig, und die Kommandobrücke stand wie ein hellerleuchtetes Schaufenster mitten in der Nacht.
    Die Passagiere schliefen in ihren Kabinen, und das Schiff lag im Dunkeln. Bis auf die Europa-Halle.
    Hier hatte Mister Palmer vor einer Viertelstunde die Saalbeleuchtung und die elektrischen Kerzen am Weihnachtsbaum einschalten lassen.
    „Wir brauchen genau dieselbe Situation wie heute abend bei der Weihnachtsfeier“, hatte er gesagt.
    Deshalb war auch der goldglitzernde Vorhang auf der kleinen Bühne wieder zugezogen, und die Staffelei mit dem Gemälde der Mona Lisa stand wieder an der alten Stelle auf der Tanzfläche.

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