Der Gelbe Nebel
Gelächter.
„Das Ehrenwort eines Verräters? Beim Thron des Großen Goodwin, eine
solche Frechheit habe ich noch nie gehört!“ empörte sich Faramant.
„Das hab ich von euch erwartet“, sagte Bilan gleichmütig. „Vielleicht
geruht ihr aber, mein blühendes Aussehen wahrzunehmen? Fällt euch nicht
auf, daß ich nicht huste wie ihr alle? Womit erklärt ihr euch das?“
„Du hast dich wahrscheinlich an einem Ort aufgehalten, der vor dem
Gelben Nebel geschützt ist“, meinte Din Gior, seinen Bart streichelnd, den
er selbst unter den schwierigsten Verhältnissen nicht zu pflegen aufhörte.
„Du hast es erraten“, gab Bilan zu. „Doch dieser geschützte Ort ist sehr
groß, zu ihm gehören die Besitzungen Arachnas, in denen es überhaupt
keinen Nebel gibt.“
Die Mitglieder des Stabes schwiegen betroffen. Der Botschafter aber sagte
herablassend:
„Ich verstehe, daß auch dieser Beweis euch unglaubwürdig scheint. Nun
denn, ich habe noch einen anderen vorbereitet, der euch völlig überzeugen
soll. Es ist jetzt ein paar Minuten vor zwölf, stimmt’s?“ fragte er.
„Die Sonnenuhr funktioniert nicht, weil die Sonne keinen Schatten wirft“,
erwiderte Faramant. „Aber du hast recht, es ist wirklich bald zwölf.“
„Also höret, Eure Exzellenz und alle anderen Anwesenden“, sagte Ruf
Bilan triumphierend. „Punkt zwölf wird die Zauberin Arachna den Gelben
Nebel auflösen, und ihr werdet wieder die helle Sonne am blauen Himmel
sehen. Dieses Bild wird genau fünf Minuten dauern! Ich meine, das reicht,
um euch von der Richtigkeit meiner Worte zu überzeugen. Danach will ich
euch die Bedingungen mitteilen, zu denen Frau Arachna bereit ist, euch für
immer vom Gelben Nebel zu befreien.“
Es vergingen einige Minuten qualvollen Wartens. Plötzlich erfüllte
blendendes Licht den Thronsaal, und dieses Licht war so grell, daß Din
Gior und Kaggi-Karr die Augen zukneifen mußten. Nur der Scheuch mit
seinen aufgemalten Augen und Faramant sowie Ruf Bilan, die grüne
Brillen trugen, konnten den plötzlichen Beleuchtungswechsel schmerzlos
ertragen. Alles veränderte sich in höchst wunderlicher Weise. Es funkelten
plötzlich zahllose Smaragde an den Wänden, an der Decke und in der
Lehne des Thronsessels, und wer keine grüne Brille trug, war von diesem
ungewöhnlichen Gefunkel wie geblendet. Noch bevor sich die Mitglieder
des Stabes von ihrer Überraschung erholten, gab der Scheuch Faramant ein
Zeichen und stürzte auf den Fernseher zu. Der Hüter des Tores verstand
sofort, was er meinte, und führte den Botschafter hinaus, denn der Feind
durfte das Geheimnis des Zauberkastens nicht erfahren.
Der Scheuch wischte den beschlagenen Bildschirm ab und leierte die
Beschwörung herunter, in der er den Kasten bat, die Zauberin Arachna zu
zeigen. Im nächsten Augenblick erschien sie auf dem Schirm.
Sie stand am Eingang der Höhle mit dem Zauberbuch in den Händen, und
man konnte erraten, daß sie gerade die Beschwörung ausgesprochen hatte,
die den Nebel zerstreute. Sie hatte ein triumphierendes Aussehen, zu ihren
Füßen liefen Zwerge hin und her, und in der Nähe lag der fliegende
Teppich in der Sonne, um zu trocknen. Jetzt konnte kein Zweifel mehr
bestehen, daß der Gelbe Nebel das Werk Arachnas war. Alle Leute im
Saale waren so überrascht, als wäre ein Blitz aus heiterem Himmel
niedergegangen. Vom Bildschirm konnte man die Worte der Zauberin
hören:
„Kastaglio, guck auf die Uhr, sind die fünf Minuten schon um?“ „Ja, die
Zeit läuft ab, Herrin“, lautete die Antwort.
Plötzlich war es, als fiele ein schwarzer Schleier vor den Augen des
Scheuchs, Din Giors und der anderen. Das wirkte so bedrückend, daß sie
fast in ein Wehgeheul ausbrachen.
„Jetzt seht ihr, wie mächtig meine Herrin ist“, sagte Ruf Bilan, den man
gerade hereinführte, vergnüglich. „Ihr gehorcht sogar das Sonnenlicht! Und
daß der Gelbe Nebel giftig ist, davon habt ihr euch, scheint mir, schon
früher überzeugt. Jetzt könnt ihr wählen: Entweder ihr unterwerft euch der
mächtigen Arachna, willigt ein, ihr als Sklaven zu dienen, und zahlt ihr den
Tribut, den sie euch aufzuerlegen geruht, oder ihr verkümmert in der
giftigen Luft und wartet hier, daß euch der Tod ereilt.“
Der Scheuch und sein Stab bewahrten finsteres Schweigen. Was hätten sie
auch sagen können? Der Tod ist schrecklich, aber ein Sklavenleben
bestimmt nicht leichter. Allerdings drohte dem Strohmann kein Tod durch
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