Der gelbe Tod
sein.«
Louis stand bleich und starr vor mir. Plötzlich kam ein Mann die Forth Street herauf gerannt, trat durch das Tor des Todestempels, überquerte den Pfad zu den Bronzetüren in vollem Lauf und warf sich mit dem Schrei eines Wahnsinnigen in die Todeskammer. Ich lachte, bis mir die Tränen die Wangen hinunterliefen, denn ich hatte Vance erkannt und wußte, daß Hawberk und seine Tochter mir nicht länger im Weg standen.
»Geh«, rief ich Louis zu, »du bist keine Bedrohung mehr. Du wirst Constance nun niemals mehr heiraten, und wenn du in deinem Exil irgendeine andere heiratest, werde ich dich besuchen, wie ich meinen Doktor letzte Nacht besucht habe. Mr. Wilde wird sich morgen um dich kümmern.« Dann drehte ich mich um und eilte in die South Fifth Avenue. Louis warf mit einem Entsetzensschrei seinen Gürtel und seinen Säbel ab und folgte mir in Windeseile. An der Ecke der Bleecker Street hörte ich ihn dicht hinter mir, und ich hastete durch die Tür unter Hawberks Schild. Er schrie: »Halt, oder ich schieße!« Als er aber sah, daß ich die Treppe hinauf eilte und Hawberks Laden links liegen ließ, ließ er von mir ab. Ich hörte ihn rufen und an ihre Tür hämmern, als wäre es möglich, die Toten zu erwecken.
Mr. Wildes Tür stand offen, und ich trat jubelnd ein: »Es ist vollbracht, es ist vollbracht! Laßt die Nationen sich erheben und ihren König schauen!« Aber ich konnte Mr. Wilde nicht finden. Daher ging ich zum Wandschrank und nahm das kostbare Diadem aus seinem Kasten. Dann legte ich den weißen, mit dem Gelben Zeichen bestickten Seidenumhang an und setzte mir die Krone auf den Kopf. Endlich war ich König, König durch mein Anrecht in Hastur, König, weil ich das Geheimnis der Hyaden kannte und mein Geist die Tiefen des Sees von Hali erklingen ließ. Ich war König! Die ersten grauen Zeichnungen der Morgendämmerung würden einen Sturm erleben, der zwei Hemisphären erschüttern würde. In dem Augenblick, als ich so da stand, meine Nerven zum Zerreißen gespannt, benommen von der Freude und dem Glanz meiner Gedanken, seufzte draußen, im dunklen Korridor, ein Mann.
Ich ergriff das Talglicht und eilte zur Tür. Die Katze raste an mir vorbei wie ein Dämon, und das Talglicht erlosch, aber mein langes Messer war schneller als sie. Ich hörte sie kreischen und wußte, daß mein Messer sie getroffen hatte. Einen Moment horchte ich, wie sie sich in der Dunkelheit herumwälzte und um sich schlug, dann entzündete ich eine Lampe und hob sie über den Kopf. Mr. Wilde lag mit aufgerissener Kehle am Boden. Im ersten Augenblick dachte ich, er sei tot, aber als ich ihn ansah, kam ein grünes Glitzern in seine eingefallenen Augen, seine verstümmelte Hand zitterte, dann öffnete ein Krampf seinen Mund von einem Ohr bis zum anderen. Eine Sekunde lang wichen mein Entsetzen und meine Verzweiflung einem Hoffnungsfunken, aber als ich mich über ihn beugte, traten ihm die Augen aus den Höhlen, und er starb. Dann, als ich, starr vor Wut und Verzweiflung, da stand und meine Krone, mein Reich, jede Hoffnung und jeden Ehrgeiz, ja mein ganzes Leben mit meinem toten Meister zugrunde gerichtet sah, kamen sie , ergriffen mich von hinten und banden mich, bis meine Adern angeschwollen waren wie Seile, und meine Stimme versagte mir unter den Zuckungen meiner rasenden Schreie. Aber ich tobte blutend und wütend zwischen ihnen weiter, und mehr als ein Polizist bekam meine scharfen Zähne zu spüren. Als ich mich nicht mehr bewegen konnte, kamen sie näher: ich sah den alten Hawberk, hinter ihm das totenbleiche Gesicht meines Vetters Louis und weiter entfernt in der Ecke eine Frau, Constance, die leise weinte.
»Ah! Jetzt erkenne ich es!« schrie ich. »Du hast dich des Thrones und des Reiches bemächtigt. Wehe! Weh über dich, der du gekrönt bist mit der Krone des Königs in Gelb!«
(Anmerkung des Herausgebers – Mr. Castaigne starb gestern im Heim für gemeingefährliche Geisteskranke.)
Die Maske
CAMILLA: mein Herr, solltet Euch demaskieren.
FREMDER: Wirklich?
CASSILDA: Wirklich, es wird Zeit. Wir alle haben unsere Verkleidung abgelegt außer Euch.
FREMDER: Ich trage keine Maske.
CAMILLA: (Erschrocken, leise zu Cassilda) Keine Maske? Keine Maske!
DER KÖNIG IN GELB: Akt 1, Szene 2
I
Obwohl ich keine Ahnung von Chemie hatte, lauschte ich gespannt. Er hob eine Lilie auf, die Geneviève heute morgen von Notre Dame mitgebracht hatte, und ließ sie in das Becken fallen. Augenblicklich verlor die
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