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Der gelbe Tod

Titel: Der gelbe Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert W. Chambers
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gewöhnlich nicht in einer christlichen Kirche vermutet wird, unerkannt Eingang gefunden und von der westlichen Empore Besitz ergriffen haben mochte. Auch über derartige Vorkommnisse hatte ich gelesen, aber nicht in Architekturbüchern.
    Dann fiel mir ein, daß St. Barnabé nicht viel älter als hundert Jahre war, und ich lächelte über die widersprüchliche Gedankenverbindung von mittelalterlichem Aberglauben und diesem freundlichen kleinen Bauwerk des Rokoko aus dem achtzehnten Jahrhundert.
    Aber nun war das Abendmahl vorüber, und es hätten ein paar getragene Akkorde folgen sollen, um die Andacht zu begleiten, während wir der Predigt harrten. Anstatt dessen brach, nachdem der Geistliche gegangen war, der Mißton am unteren Ende der Kirche hervor, als könne ihn nun nichts mehr halten.
    Ich gehöre einer älteren und einfacheren Generation an, der nichts daran liegt, in der Kunst nach psychologischen Spitzfindigkeiten zu suchen, und ich habe mich immer geweigert, in der Musik mehr zu sehen als Melodie und Harmonie, aber ich spürte, daß in dem Labyrinth von Tönen, die jetzt von diesem Instrument ausströmten, irgend etwas gejagt wurde. Auf und nieder verfolgten es die Pedale, während die Manuale Beifall schmetterten. Armer Teufel! Wer auch immer es war, er schien wenig Hoffnung auf ein Entkommen zu haben!
    Meine gereizte Verärgerung verwandelte sich in Wut. Wer konnte so etwas tun? Wer konnte es wagen, so inmitten eines Gottesdienstes zu spielen? Ich sah die Leute um mich herum an: nicht einer schien sich im mindesten gestört zu fühlen. Die milden, noch immer auf den Altar gerichteten Blicke der Nonnen verloren nicht ihre hingebungsvolle Verinnerlichung unter dem blassen Schatten ihrer weißen Hauben. Die elegante Dame neben mir sah erwartungsvoll zu Monsignore C- auf. Nach dem zu urteilen, was ihr Gesicht ausdrückte, hätte die Orgel das Ave Maria spielen können.
    Aber nun hatte sich der Priester endlich bekreuzigt und zum Schweigen gerufen. Ich wandte mich erleichtert zu ihm um. Bis zu diesem Augenblick hatte ich den Frieden, den ich erwartet hatte, als ich an diesem Nachmittag St. Barnabé betreten hatte, nicht gefunden.
    Ich war erschöpft nach drei Nächten physischen Leidens und geistiger Verwirrung; die letzte war die schlimmste gewesen, und es war ein ausgezehrter Körper und ein betäubter und doch hoch empfindlicher Geist, den ich zur Gesundung in meine Lieblingskirche gebracht hatte. Denn ich hatte den ›König in Gelb‹ gelesen.
    »Die Sonne steiget auf; sie besinnen sich und legen sie nieder in ihre Höhlen.« Monsignore C- trug seinen Text mit ruhiger Stimme vor und ließ seine Blicke über die Gemeinde schweifen. Mein Blick wurde abgelenkt. Ich konnte nicht sagen, warum, aber er fiel auf das untere Ende der Kirche. Der Organist kam gerade hinter seinen Pfeifen hervor und überquerte die Empore auf seinem Weg nach draußen. Ich sah ihn durch eine kleine Tür verschwinden, die zu ein paar direkt auf die Straße hinabsteigenden Stufen führte. Er war ein schlanker Mann, und sein Gesicht war ebenso weiß, wie sein Umhang schwarz war. »Gott sei dank, wird man dich endlich los«, dachte ich, »mit deiner bösartigen Musik! Ich hoffe, dein Assistent wird das Schlußstück spielen.«
    Mit dem Gefühl der Erleichterung, mit dem tiefen ruhigen Gefühl der Erleichterung, wandte ich mich dem milden Gesicht in der Kanzel wieder zu und lehnte mich zurück, um zu lauschen. Hier fand ich endlich die Genesung des Geistes, nach der ich mich sehnte.
    »Meine Kinder«, sagte der Priester, »eine Wahrheit findet die menschliche Seele am schwersten zu begreifen: daß sie nichts zu befürchten hat. Sie kann nie dazu gebracht werden, zu erkennen, daß nichts ihr wirklich Schaden zufügen kann.«
    »Merkwürdige Lehre«, dachte ich, »für einen katholischen Priester. Ich bin gespannt, wie er das mit den Kirchenvätern in Einklang bringt.«
    »Nichts kann der Seele wirklich Schaden zufügen«, fuhr er mit gelassener, klarer Stimme fort, »denn –«
    Aber den Schluß habe ich nie gehört. Meine Augen lösten sich von seinem Gesicht, ich wußte nicht aus welchem Grund, und suchten das untere Ende der Kirche. Derselbe Mann kam hinter der Orgel hervor und überquerte die Empore in derselben Weise . Aber er hatte keine Zeit gehabt, zurückzukehren, und wenn er zurückgekehrt war, hätte ich ihn sehen müssen. Es überlief mich kalt, und mir sank das Herz; und doch war sein Kommen und Gehen nicht meine

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