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Der Geliebte

Titel: Der Geliebte Kostenlos Bücher Online Lesen
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ihn anzusehen. Wenn ich das tat, war ich verloren, dann konnte ich nicht mehr denken, sondern nur noch fühlen. Ich würde mit dem Rücken ins Gras sinken und ihn anflehen, mir all das zu geben, was ich so sehr begehrte.
    Und er würde es mir geben.
    Ich schloss die Augen, um zur Ruhe zu kommen, nachzudenken. Michel war hier, und ich musste mit ihm reden, es war noch so vieles unausgesprochen zwischen uns. Aber ich schaffte es nicht. Ein Kloß steckte in meinem Hals. Ich öffnete die Augen wieder und starrte auf die Oberfläche des Wassers, in dem sich der Schein des Halbmonds spiegelte.
    »Sieh mich an.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Er nahm mein Gesicht in die Hände und zwang mich, den Blick auf ihn zu richten.
    Ich spürte, wie ich schwach wurde. Als hätte ich nicht Kalk in den Knochen, sondern Gummi.
    »Du musst Eric verlassen«, sagte er leise.
    Ich zog den Kopf zurück. »Nein, Michel.« Über den traurigen, aber festen Ton meiner Stimme erschrak ich selbst.
    »Warum nicht?«
    Um die Tränen zurückzudrängen, kniff ich die Augen zusammen. »Weil ich es nicht will.«
    »Du willst es sehr wohl«, sagte er mit hörbarer Zurückhaltung. »Das sehe ich doch.«
    »Ich will meine Familie nicht verlieren.« Es klang schwach und unglaublich pathetisch, und doch war es so. Ehrlicher konnte ich es nicht sagen. Eric konnte ich vielleicht aufgeben, aber Isabelle und Bastian nicht. Niemals.
    Er ließ meine Hand los und legte mir die seine in den Nacken. Seine Finger streichelten und massierten meine Haut.
    »Ich spüre doch, dass du es willst«, flüsterte er und fing an, mich ganz leicht zu küssen, erst auf den Mund, dann auf die Nase, die Wangen, die Stirn. »Und du spürst es auch.«
    Ich wandte den Kopf ab, zog die steifen Beine an und schlang die Arme darum. Eine sinnlose Geste. Michel kannte jeden Quadratzentimeter meiner Haut. Das kleinste Fältchen. Den feinsten Nervenknoten.
    Alles.
    »Es tut mir leid«, flüsterte ich.
    Abrupt erhob er sich. »Ich glaube dir nicht.«
    Verwirrt sah ich zu ihm auf. Kurz stand er in voller Größe vor mir. Dann wandte er sich ab und entfernte sich ein paar Schritte. Ich sah ihn etwas vom Boden aufheben. Kieselsteine. Er hielt ein Häuflein davon in der Hand, suchte einen aus und schleuderte ihn aus der Hüfte heraus mit ganzer Kraft über den See. Sein junger, kräftiger Körper spannte sich kurz wie ein Bogen, fand dann sein Gleichgewicht wieder. Drei, vier Mal sprang der Stein auf der Wasseroberfläche, bis er unterging.
    »Michel«, sagte ich leise.
    Er holte ein zweites Mal aus, und dann noch einmal. Begutachtete die Ausbeute in seiner Hand, bewegte die Finger, sodass die Steinchen aneinanderklackerten. Dann ließ er sie von der linken in die rechte Hand kullern, ballte diese zur Faust und warf alle Steine auf einmal in großem Bogen ins Wasser. Eine kleine Fontäne glitzerte im Mondlicht. Auf der Wasseroberfläche bildeten sich silberne Kreise, die sich vergrößerten und ineinander übergingen. Michel legte den Kopf zurück und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Er murmelte etwas, was ich nicht verstand.
    »Michel«, flüsterte ich erneut.
    Er sah zu mir herab. Ein vorwurfsvoller, schmerzerfüllter Blick.
    Plötzlich wurde mir klar, dass ich mich mehr als nur körperlich von ihm angezogen fühlte.
    Ich war bis über beide Ohren in ihn verliebt.
    Und er in mich.
    Das Chaos war komplett.
    Wir schwiegen.
    Es blieb unausgesprochen, es brauchte nicht gesagt zu werden.
    Wir wussten es beide.
    Michel setzte sich wieder und neigte sich mir zu. Mit der Hand strich er an der Innenseite meines Schenkels hinauf. Ich erbebte.
    »Nein.« Ich stieß ihn weg. »Ich will … reden. Ich will mehr über dich erfahren.«
    »Warum?«
    »Weil … weil ich dich besser kennenlernen möchte. Ich kenne dich nicht. Nicht wirklich.«
    »Wie jetzt? Wir sollen uns zwar nicht mehr treffen, aber du willst mich besser kennenlernen? Was denn nun?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Nein … ich …«
    Er hatte Recht. Was wollte ich eigentlich?
    »Ich bin so, wie ich bin«, sagte er. »Mehr steckt nicht dahinter.« Er heftete den Blick starr aufs Wasser.
    »Das ist doch nicht alles. Wo kommst du her, auf was für einer Schule warst du? Hast du Eltern? So was meine ich.«
    Er sah mich schräg von der Seite an. »Natürlich habe ich Eltern.« Er klang verstimmt.
    »Habt ihr Kontakt?«
    »Nein.«
    »Was für Leute sind das?«
    Er rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Darüber möchte ich nicht

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