Der Geliebte
Knopfaugen wie eine Krähe.
Ich schüttle den Kopf und weiche den Blicken aus. »Ich weiß es nicht«, fiepse ich. »Ich … mir ist übel.«
»Hatten Sie selbst oder Ihr Mann vielleicht irgendwelche Probleme mit Peter Vandamme?«
Die Stimme des Dolmetschers scheint plötzlich von ganz weit weg zu kommen. Am liebsten würde ich in Ohnmacht fallen, nur um nicht hierbleiben zu müssen, sondern in meine Zelle zurückgebracht und allein gelassen zu werden. Aber dazu kommt es nicht. Mein Körper richtet sich grundsätzlich nicht nach meinen Wünschen. Er führt ein Eigenleben und kümmert sich nicht um mich. Das hat er noch nie getan.
Vielleicht sage ich besser gar nichts mehr. Kein Wort, bevor ich nicht einen Anwalt gestellt bekomme.
Auf der anderen Seite des Tisches werden Stühle nach hinten gerückt, aber ich rühre mich nicht.
»Wir haben vorläufig keine weiteren Fragen«, sagt der Dolmetscher. »Vielen Dank für Ihre Mitwirkung. Sie werden jetzt in Ihre Zelle gebracht.«
Als hätten sie es vorher abgesprochen, tritt im selben Augenblick ein uniformierter Beamter in den Raum.
»Begleiten Sie madame bitte zurück.«
47
Ich rannte in die Diele und öffnete die Tür. Bleu zwängte sich an mir vorbei und lief in die Dunkelheit hinaus.
Aus dem dunklen Schatten des Torbogens trat Michel hervor. Er trug Jeans, ein T-Shirt und eine dunkle Baumwolljacke. Die angespannten Halsmuskeln verrieten seine Zweifel, seine Anspannung. Der Blick aus seinen dunklen Augen war jetzt, da eines davon teilweise zugeschwollen war, noch atemberaubender.
»Was machst du denn hier?«
Er antwortete nicht, sondern warf einen raschen Blick aufs Haus: »Ist Eric weg?«
»Ja.«
»Die Kinder schlafen?«
Ich nickte.
Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und sah mich finster an. Es ging eine fast schon elektrische Spannung von ihm aus.
Und von mir.
Schwer zu sagen, wer den ersten Schritt tat. Vielleicht taten wir ihn gleichzeitig. Seine Lippen berührten die meinen, unsere halb geöffneten Münder pressten sich aufeinander, meine Zunge drängte zärtlich vor. Als meine Hände unter seinem T-Shirt verschwanden und seine Haut berührten, entfuhr ihm ein leises Stöhnen. Ich ertastete seine Muskeln, spürte die Wärme, die er abstrahlte. Die fantastischen Furchen zwischen Rückgrat und Muskeln, die bis unter den Saum seiner Hose liefen.
Aus der Ferne hörte ich ein Auto näher kommen.
Eric?
Der Gedanke wirkte ernüchternd. Ich wandte den Kopf ab und spähte ängstlich zur Auffahrt hinüber. »Wo steht dein Motorrad?«, flüsterte ich.
»Im Gebüsch. Von der Zufahrt aus nicht zu sehen.«
Das Geräusch verebbte. Es war wohl bloß weiter hinten auf der Straße jemand vorbeigefahren.
Schüchtern blickte ich zum Haus hinüber. Von Bastians schräg unter dem Turm gelegenem Zimmer aus konnte man den Hof einsehen. Wenn er von Bleus Gebell aufgewacht war, konnte er uns jetzt sehen. Michel folgte meinem Blick.
Hinter dem Fenster war keinerlei Bewegung zu erkennen. Alles verharrte in tiefer Stille.
Michels Hand schloss sich um meine.
»Komm mit«, flüsterte er.
Ich zögerte. »Wohin?«
Er schien meine Zurückhaltung nicht zu bemerken und zog mich mit sich.
Nachdem wir den Torbogen durchquert hatten, wandten wir uns nach rechts und gingen durch das hohe Gras den Hügel hinunter. Unter meinen nackten Füßen raschelte es. Hoch über uns wölbte sich ein tiefblauer Nachthimmel. Zwischen den über uns hinwegziehenden Wolken, die bewegte, bizarre Schatten auf die blaue Landschaft warfen, leuchteten Tausende von Sternen. Alles roch nach Gras, Blumen, Frühling. Und nach Michel, der meine Hand noch immer nicht losgelassen hatte, als hätte er Angst, dass ich davonliefe.
Bei dem kleinen See verlangsamten wir unsere Schritte. Er setzte sich ins Gras und zog mich an sich. Eingehüllt in die Dunkelheit und umgeben von den Geräuschen der Nacht, saßen wir schweigend zusammen. Ich nahm fast nichts mehr wahr außer seinem Körper, der mir jetzt so nah war, und seinem Duft, von dem ich mich so angezogen fühlte. Ich wollte mich ganz diesem Duft, diesem Körper hingeben, mich eng an ihn schmiegen. Alles andere vergessen. Nur für den Augenblick leben, als gäbe es kein Morgen.
Nein.
Michel hielt meine Hand und sah mich an. »Ich habe dich schrecklich vermisst in Basque. Jeden Abend habe ich an dich gedacht. Und als ich dich endlich erreicht hatte und du den Hörer aufgeknallt hast, war ich kurz davor durchzudrehen.«
Ich wagte nicht mehr
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