Der General und das Mädchen
Mensch ist da. Wir wollen die Nachbarn links oder rechts fragen, auch kein Mensch da, wir wollen...«
»Kein Mensch ist da!« grölte der Rotgesichtige.
»Richtig«, sagte ich beglückt über seine schnelle Auffassungsgabe.
»Mein Freund«, trompetete er, als sei das ein grandioser Witz, »die sind alle nicht da, die können gar nicht da sein.« Er lachte schon wieder schallend.
»Das ist ja wirklich komisch, nicht?« fragte Germaine mit strahlendem Lächeln, und niemand wußte, was sie eigentlich meinte.
»Eigentlich ist es gar nicht so komisch«, murmelte eine Frau mit langen, hellblonden Haaren und spitzem Gesicht. »Die sind für diese Nacht ausquartiert worden. Evakuiert sozusagen.«
Ein junger Mann mit einem T-Shirt, auf dem >lover-boy< stand, mischte sich eifrig ein. Mit einem gewinnenden Lächeln sagte er zu Germaine: »Die sind in feine Bonner Hotels ausquartiert worden. Irgend etwas mit der Kanalisation ist nicht in Ordnung. Da haben sich Gase entwickelt. Die Stadtverwaltung will die irgendwann absaugen. Da waren auch schon irgendwelche Leute da.«
»Danke«, sagte ich artig, auch Germaine hauchte >danke<, strahlte den Sonnyboy an, und wir schritten würdig davon.
»Du hast etwas gerochen, nicht wahr?« fragte ich. »Was?«
»O ja«, murmelte sie und setzte sich in den Wagen. »Der General ist tot, er kann sich nicht mehr wehren. Sie haben jedes Haus umgepflügt. Ob sie gefunden haben, was sie suchten, wissen wir nicht, aber sie haben ein Trümmerfeld zurückgelassen. Und weil die Angehörigen todsicher Stunk machen werden, müssen sie jetzt noch die Trümmerfelder endgültig erledigen.«
»Du bist gut, du solltest Rechercheur werden.«
Sie sah mich dankbar an. Einen Moment hielten ihre Augen mich fest, dann fragte sie leise: »Was jetzt?«
»Wir trennen uns. Du nimmst den Wagen und fährst an sein Eifel-Haus. Aber paß auf, daß dich niemand sieht. Ich bleibe hier. Wir warten bis zur Morgendämmerung. Dann holst du mich drüben an dem Telefonhäuschen ab.«
»Gut«, sagte sie. Noch so ein Blick wie eben, dann fuhr sie davon.
Ich schlich durch den schmalen Fußweg in den Wald. Ich erinnerte mich, einmal in einem Buch für St.-Georgs-Pfadfinder gelesen zu haben: >Wenn du dich in einem Hochwald verstecken mußt, suche nicht die niedrigen Gebüsche auf. Dort vermutet man dich am ehesten. Hocke dich einfach an den Fuß eines Stammes und verharre bewegungslos. Du wirst mit der Nacht verschmelzen.< Komisch, was einem so alles wieder einfällt. Also verschmolz ich mit der Nacht und bemühte mich, nicht in endlose Grübeleien über das zu versinken, was geschehen könnte.
Es war ein Uhr, als ich auf die Idee kam, daß ich vom Waldboden aus vermutlich nichts sehen könnte - falls es etwas zu sehen gäbe. Also kletterte ich erneut auf den Zaun, der die Grundstücke umgab, und sah mich um. Die Häuser waren-nichts als phantasielose Kästen, jeweils mit einer schmalen Brücke verbunden, in der Haustür und ein kleiner Flur untergebracht waren. Die Flachdächer mußten so etwa fünf Meter hoch liegen. Ich beschloß, mich auf einem dieser Dächer auf die Lauer zu legen. Suchend blickte ich mich nach einer Möglichkeit um, auf das Dach zu gelangen. Es war fast zu schön, um wahr zu sein: In einer Hausecke entdeckte ich einen Haufen von Kaminholz, an die vier Meter hoch, über den man fast auf das Dach marschieren ^konnte. Oben lag eine dicke Schicht Kies, was meiner Lautlosigkeit kaum förderlich sein würde.
Es gab drei kuppelförmige Oberlichter. In einem der Räume unter mir war eine sehr intensive grüne Lichtquelle, die mir einige Sorgen bereitete, bis ich erkannte, daß es ein Aquarium war. Ich mußte nur anderthalb Meter hinuntersteigen, um den Anbau mit dem kleinen Hausflur zu überqueren und mich auf das Dach des Nachbarhauses zu schwingen. Vom dritten Haus aus konnte ich sowohl den Fußweg wie die Fahrstraße gut einsehen. Hier blieb ich.
Um zwei Uhr kam die erste Fußstreife. Es waren zwei Uniformierte, die wortlos und auf leisen Sohlen den Fußweg entlanggingen. Dann fuhren drei Streifenwagen auf und stellten sich so, daß die Zugänge zu den Fußwegen versperrt waren. Es folgten eine zweite, eine dritte, eine vierte Funkstreife. Jeder Polizist hatte ein Walkie-talkie in der Brusttasche. Dann kam aus Richtung Innenstadt ein Löschfahrzeug der Feuerwehr. Niemand stieg aus. Ich schob mich an den Rand des Daches zum Fußweg
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