Der General und das Mädchen
jetzt sichtbar; vorher hätte man sie nicht einmal mit der Hand ertasten können. Ich gab sie vorsichtig Germaine, damit nicht irgend jemand damit Unfug machte.
»Das heißt ja, daß ...«
»O ja«, sagte Bauer Wirges. »Er ahnte was.«
* Fünftes Kapitel
»Was wissen Sie noch?« fragte ich vorsichtig.
»Nichts, gar nichts.« Seine Hände schnitten barsch durch die Luft.
»Aber Sie haben gesagt, er ahnte was. Also muß er darüber gesprochen haben.«
»Hat er aber nicht«, entgegnete Wirges verkniffen. Sein Gesicht, eine verwitterte Landschaft aus tiefen Schluchten und Auffaltungen, wirkte sehr abweisend.
Ich kenne meine Eifeler Eisenköpfe: Unter diesen Umständen, in diesem Haus würde er kein Wort mehr sagen. »Wir müssen weiter. Ich werde Sie mal besuchen.«
»Was sage ich, wenn ich gefragt werde, wer hier war?«
»Sagen Sie, ich war hier.« Wir marschierten zum Auto zurück, und von der nächsten Telefonzelle rief ich den Polizisten Horst Böhmert zu Hause an. Seine Frau sagte, er sei da, aber nicht zu stören.
»Sagen Sie ihm, Baumeister ist dran. Er kann zu Hause bleiben.«
»So etwas glaube ich schon lange nicht mehr«, sagte sie knapp.
Böhmert war verschlafen, aber wenigstens gutgelaunt. »Erzählen Sie nicht, Sie hätten die nächste Leiche entdeckt.«
»Keine Leiche. Irgendwer war im Haus, und es sieht aus, als habe jemand ein Dutzend Handgranaten geschmissen.«
»Ich weiß davon. Ich kann Ihnen aber nicht sagen, wer es war. Um im Amtsdeutsch zu bleiben, war es eine sehr gründliche Untersuchung des Tatortes. Fragen Sie mich um Himmels willen nicht, wonach die gesucht haben, denn das weiß ich nicht.«
»Das weiß ich aber«, sagte ich.
»Was?« Er atmete lange aus.
»Wir treffen uns morgen«, sagte ich. »Sagen wir um acht bei Ihnen?«
»Mattes und Carlo sind mit derselben Waffe erschossen worden wie der General. Passen Sie auf sich auf.«
Im Wagen sagte Germaine: »Jetzt fahren wir doch bestimmt nachsehen, ob das Haus in Meckenheim auch durchsucht worden ist.«
»Na sicher. Was ist das für eine Gegend?«
»Es ist ein kleines Haus unter vielen in einer Schlafstadt. Beton und Holz und nichts als rechte Winkel. Die meisten Leute arbeiten in Bonn in den Ministerien. Eine Hundertschaft grüne Witwen an der anderen. Ein paar Türen weiter lebte eine Alkoholikerin. Bevor sie morgens zu saufen begann, hat sie erst das ganze Haus geputzt, Tag für Tag. Mittags kam der Hausarzt und gab ihr eine Spritze, man konnte die Uhr danach stellen. Aber niemand half ihr wirklich. Aber Meckenheim ist praktisch: Zwanzig Minuten bis ins Regierungsviertel. Wieviel Uhr ist es eigentlich?«
»Neun Uhr an einem Sommerabend. Sie werden alle in ihren Gärten sitzen. Sag mal, der General war doch eigentlich ein liebenswerter, liberaler Mensch. Wieso ließ er seine Kinder nicht an sich heran?«
»Er fand, sie hätten durch den ständigen Umgang mit der Mutter ein schiefes Bild von der Welt. Boston-Elite, verstehst du? Ostküsten-Goldkinder. Die leben in der Überzeugung, der liebe Gott habe ihnen den Rest der Welt nur hingebaut, damit sie etwas zu spielen haben. Der General mochte sie nicht und sagte, es stehe nirgendwo geschrieben, daß ein Vater seine Kinder nicht verabscheuen dürfe.«
Ich kroch in einer langen Schlange von Lastwagen und ungeduldigen PKW-Fahrern zur Kaltenborner Höhe hoch und machte dort an einem Restaurant halt.
»Ich habe dir einen Umschlag zurechtgemacht. Ein bißchen Geld, damit du nicht das Gefühl hast, abhängig zu sein. Ehe du aber in Dankesorgien ausbrichst: Ich will es irgendwann wiederhaben, aber ich werde dich nicht mahnen.«
Sie sah mich mit einem undefinierbaren Blick an, aber sie nahm es.
Wir stiegen aus und gingen in die fast leere Kneipe. Über der Bonn-Kölner Ebene sank die Sonne groß und rotglühend in die Nacht. Ich brach das Schweigen.
»Was trieb er eigentlich, nachdem er seinen Dienst quittiert hatte?«
»Der Verteidigungsminister hatte ihm vorgeschlagen, in einer Nische zu warten, bis Gras über das Gutachten gewachsen sei.«
»Was war das für eine Nische?«
»Er sollte bei den Kommandeuren der Bundeswehr Werbung für die Pershing-Raketen und die Cruise-Missiles machen. Er sagte einfach nein.«
»Er nahm also seinen Hut und ging. Was dann?«
»Er baute sich das Haus in der Eifel. Er sagte mir mal am Telefon, als
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