Der General und das Mädchen
sozialen Wohnungsbau, genauso im privaten Wohnungsbau. Er hat außerdem Immobilienfirmen von Kiel bis Garmisch. Er hat mir mal beim Schnaps gesagt, daß die NATO nicht mal fünf Prozent seines Umsatzes ausmacht.«
»Und das glaubst du ihm?«
»Aber ja. Ich kenne meinen Tutting seit zwanzig Jahren. Er hat längst so viele Millionen, daß die NATO-Sachen eher was für die Portokasse sind.«
»Du bist ja richtig begeistert von ihm«, sagte Germaine verblüfft.
»Nun, er ist wirklich ein irrer Typ. Kindchen. Macho, aber mal wirklich ein Typ.«
»Wo wohnt er denn?«
»Hier um die Ecke. Willst du einen Termin bei ihm? Soll ich anrufen?«
»Wenn es geht, am besten morgen früh. Ich muß nachdenken. Ich übersehe die ganze Zeit etwas, aber ich weiß nicht, was es ist.«
Sie zog das Telefon an einer langen Schnur aus der Küche. »Schott hier. Ist denn der Chef zu Hause? - Gut, dann gib ihn mir mal. - Georg, grüß dich, die Trude hier. Also hier ist ein Freund, ein Journalist, absolut sauber und fair. Der recherchiert den General Otmar Ravenstein, der... - Ach, das weißt du schon? Ja, wirklich eine Schweinerei. Der Mann heißt Baumeister und braucht dich ein paar Minuten. Gut, und wann ... Zweiundzwanzig Uhr in deinem Haus. Er wird da sein. Danke,« Sie sagte: »Heute abend oder gar nicht. Er hat sonst keinen Termin frei.«
»Danke. Was wollte der General von dir?«
»Über die Initiativen diskutieren, die er zu dieser Politik der verbrannten Erde entwickelt hatte. Sagt mal, kann ich euch noch ein Stück Erdbeerkuchen anbieten?« Dieser Wechsel zum Hausfraulichen war typisch für sie; vielleicht war es das, was sie all die Jahre so gesund gehalten hatte.
»Nicht böse sein«, sagte Germaine, »ich möchte nur noch ein Bett.«
»Ich rufe dich an, wenn wir mehr wissen müssen«, sagte ich.
»Eine starke Frau«, meinte Germaine im Wagen beeindruckt.
»Ja, aber was sie weiß, bringt uns nicht an den Mörder heran. Wir wissen jetzt zwar genau, was der General beabsichtigte, aber ob das irgend etwas mit dem Mord an ihm zu tun hatte, wissen wir immer noch nicht. Eine Scheißgeschichte.«
»Ich brauche erst mal ein paar Stunden ein Bett.«
»Ja, ja, geh schlafen, ruh dich aus.« Ich sah ihr nach, wie sie mit dem Zimmerschlüssel müde davonschlich. Ich ging aus dem Hotel hinaus. Heiße Sonne in einem Provinznest am frühen Nachmittag - tot. Ich stieg wieder in das Auto und fuhr nach Osten. Es ging über superbreite Straßen, auf denen sich nichts bewegte, außer gelegentlich einem Trecker, auf dem müde und schwitzend ein Bauer hockte, der nicht einmal aufsah, wenn ich vorbeifuhr. Der Karte nach bewegte ich mich auf einer Parallelen zur Grenze, also nahm ich die nächste schmale Straße nach rechts, durchquerte einen Weiler aus drei eichenbehüteten Gehöften und blieb dann vor einem Schild stehen, auf dem lapidar >Achtung! Grenze!< stand - schwarzer Anachronismus auf einer weißen Holzfläche. Ich ging zu Fuß weiter. Anfangs war die Straße noch asphaltiert, nach einhundert Metern war sie nichts weiter als ein Ackerweg mit rechts und links ein paar Freiflächen für die Autos neugieriger Touristen. Dann eine verrottete Eisenbarriere, dahinter der Hinweis, daß dort das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik beginnt. Wild zugewachsenes Ödland, saure Wiesen, Büsche, ein hoher Zaun, noch ein Zaun, ein Wachturm, dazwischen eine breite Schneise, wie ausrasiert.
Drüben neben dem Wachturm bewegten sich zwei soldatische Figuren, blieben stehen, hoben die Ferngläser und sahen zu mir hinüber. Die beiden wirkten so, als hätte sich nicht längst die Welt gewaltig verändert. Aber ihre Zeit war abgelaufen. Zum Glück.
Zwei junge Männer in der Uniform des Grenzschutzes kamen auf einem schmalen Trampelpfad heran. Sie waren unbewaffnet, hatten nur Ferngläser umhängen und Walkie-talkies am Gürtel.
»Ein trauriger Landstreifen«, sagte ich.
»Sehen Sie das zum ersten Mal?«
»Nein, aber es macht mich auch beim zwanzigsten Mal nicht an.« Ich ging zum Wagen zurück. An welchem Punkt hatte ich den Mörder übersehen? Hatte ich ihn überhaupt übersehen? Konnte dieser Tutting der Mörder sein? Und wenn er mit dem General öffentlich diskutieren wollte - wieso hätte er ihn dann ermorden sollen? Mit welchem Motiv? Ich hatte Kopfschmerzen. Ich wußte, daß ich etwas wußte. Aber ich wußte nicht, was es war.
Im nächsten Ort
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