Der Genesis-Plan SIGMA Force
wissen.
»Vielleicht sollten wir Director Crowe einschalten«, sagte Gray.
Es entstand eine weitere lange Pause. Vielleicht hatte er da etwas Falsches gesagt. Er wollte Logan nicht vor den Kopf stoßen, aber manchmal musste man halt einsehen, dass es besser war, anderen den Vortritt zu lassen.
»Ich fürchte, das ist im Moment nicht möglich, Commander Pierce.«
»Warum nicht?«
»Director Crowe hält sich in Nepal auf und ist gegenwärtig nicht erreichbar.«
Gray runzelte die Stirn. »In Nepal? Was macht er denn in Nepal?«
»Commander, Sie haben ihn selbst dorthin geschickt.«
»Was?«
Auf einmal dämmerte es Gray.
Vor einer Woche hatte er einen Anruf bekommen.
Von einem alten Freund.
Grays Gedanken wanderten zu seiner Anfangszeit bei Sigma zurück. Wie alle anderen Sigma-Agenten war auch Gray ursprünglich bei den Spezialeinsatzkräften gewesen. Mit achtzehn war er in die Army eingetreten, mit einundzwanzig zu den Rangers gekommen. Nach einer Verurteilung wegen Tätlichkeit gegen einen Vorgesetzten war er noch in der Haftanstalt Leavenworth von der Sigma Force angeworben worden. Trotzdem hatte er dem Braten nicht getraut. Schließlich hatte er den Offizier nicht ohne Grund geschlagen. Dessen Inkompetenz hatte in Bosnien sinnlose Tote – noch dazu tote Kinder – zur Folge gehabt, doch Grays Zorn hatte noch eine tiefer liegende Ursache gehabt. Ein gestörtes Verhältnis zu Vorgesetzten, das auf seinen Vater zurückging. Es hatte eines weisen Mannes bedurft, um Gray auf den richtigen Weg zu bringen.
Dieser Mann war Ang Gelu gewesen.
»Wollen Sie damit sagen, Director Crowe halte sich wegen des buddhistischen Mönchs in Nepal auf, mit dem ich befreundet bin?«
»Painter weiß, wie viel Ihnen der Mann bedeutet.«
Gray wurde langsamer und trat in den Schatten am Rand der Gasse.
Zusätzlich zu seiner Ausbildung bei Sigma hatte er sich in Nepal vier Monate lang von dem Mönch unterweisen lassen. Ang Gelu war überhaupt erst der Auslöser gewesen, der Gray bewogen hatte, bei Sigma einen eigenen Ausbildungsplan zu verfolgen. Gray hatte im Eiltempo Biologie und Physik studiert und in beiden Fächern einen Abschluss gemacht, doch Ang Gelu hatte seine Studien auf eine neue Ebene gehoben und ihn gelehrt, nach dem Gleichgewicht aller Dinge zu suchen. Nach der Harmonie der Gegensätze. Dem taoistischen Yin und Yang. Der Eins und der Null.
Diese neuen Einsichten ermöglichten es Gray schließlich, die Dämonen der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Grays Mutter, eine Biologin, die an einer katholischen Highschool unterrichtete, hatte ihm nicht nur eine tiefe Spiritualität vermittelt, sondern ihn auch zu einem Anhänger der Evolutionslehre und der Vernunft gemacht. Der Wissenschaft brachte sie ebenso viel Glauben und Vertrauen entgegen wie ihrer Religion.
Und dann war da noch sein Vater: ein in Texas lebender Waliser, ein Ölbohrarbeiter, der in der Blüte seiner Jahre gezwungen gewesen war, sich aufgrund einer Arbeitsverletzung mit einem Leben als Hausmann zu bescheiden. Fortan hatten Überkompensation und Groll sein Leben bestimmt.
Wie der Vater, so der Sohn.
Bis Ang Gelu Gray einen neuen Weg gewiesen hatte.
Einen Weg zwischen den Gegensätzen. Das war keine Abkürzung. Er erstreckte sich von der Vergangenheit in die Zukunft. Gray hatte noch immer damit zu kämpfen.
Ang Gelu aber hatte Gray bei den ersten Schritten geholfen. Als ihn vor einer Woche der Hilferuf erreichte, hatte er sich daher verpflichtet gefühlt, sich der Sache anzunehmen. Ang Gelu hatte vom geheimnisvollen Verschwinden mehrerer Personen und mysteriösen Krankheitsfällen berichtet, die alle in einer bestimmten Region nahe der chinesischen Grenze aufgetreten waren.
Der Mönch hatte einfach nicht gewusst, an wen er sich wenden sollte. Die Regierung seines Landes war zu sehr von den maoistischen Rebellen in Anspruch genommen. Außerdem wusste Ang Gelu, dass Gray mit Geheimoperationen befasst war. Deshalb hatte er ihn um Hilfe gebeten. Da Gray jedoch bereits nach Kopenhagen beordert worden war, hatte er die Angelegenheit an Painter Crowe übergeben.
Er hatte den Schwarzen Peter weitergereicht …
»Ich habe Painter lediglich gebeten, jemanden dorthin zu schicken«, stammelte Gray überrascht. »Jemanden, der mal nachsieht. Es waren doch bestimmt andere Leute verfügbar, die –«
Logan fiel ihm ins Wort. »Hier war nicht viel los.«
Gray unterdrückte ein Stöhnen. Er wusste, worauf Logan da anspielte. Derselbe Mangel an
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