Der Genesis-Plan SIGMA Force
Wangen waren vom eiskalten Wind gerötet. Außerdem hatte sie Angst. Sie hielt sich dicht hinter ihm und zuckte jedes Mal zusammen, wenn das gedämpfte Knacken eines brennenden Balkens die Erddecke durchdrang. Trotzdem weinte und klagte sie nicht. Offenbar bewältigte sie den Schock mit reiner Willenskraft.
Doch wie lange würde sie durchhalten?
Mit zitternden Fingern streifte sie sich ein von der Decke herabhängendes Bündel Zitronengras aus dem Gesicht. Sie gingen weiter. Je tiefer sie in den Keller vordrangen, desto stärker wurde der Geruch, den die trocknenden Pflanzen verströmten: Rosmarin, Wermut, Bergrhododendron, Khenpa. Alle dazu gedacht, zu Räucherstäbchen verarbeitet zu werden.
Lama Khemsar, der Klostervorsteher, hatte Painter die Verwendung der zahllosen Kräuter erklärt: Sie dienten der seelischen Reinigung, verstärkten kosmische Energien, vertrieben störende Gedanken und halfen gegen Asthma und Erkältung. Im Moment aber hätte Painter lieber gewusst, wie man aus dem Keller herauskam. Sämtliche Gebäude waren über unterirdische Gänge miteinander verbunden. Wenn im Winter das Kloster unter einer hohen Schneedecke begraben wurde, wechselten die Mönche durch den Keller von einem zum anderen Gebäude.
Auch die Scheune am Rand des Klostergeländes war unterirdisch zu erreichen. Bislang war sie von den Flammen verschont worden und zudem vom Haupttempel aus nicht einsehbar.
Wenn sie die Scheune erreichten, könnten sie vielleicht ins tiefer gelegene Dorf flüchten …
Er musste unbedingt Kontakt mit Sigma aufnehmen.
Ihm schwirrte nicht nur der Kopf vor lauter Möglichkeiten, plötzlich drehte sich auch alles um ihn.
Painter blieb stehen und lehnte sich an die Wand.
Ihm war schwindelig.
»Alles in Ordnung?«, fragte die Ärztin und näherte sich ihm.
Er atmete einige Male tief durch, dann nickte er. Seit er zu sich gekommen war, hatte er mit Schwindelanfällen zu kämpfen. Allerdings wurden die Abstände größer – oder war das lediglich Wunschdenken?
»Was ist da oben eigentlich passiert?«, fragte Dr. Cummings. Sie nahm ihm die Taschenlampe ab – eigentlich war es eine Untersuchungslampe aus ihrer Arzttasche – und leuchtete ihm damit in die Augen.
»Ich weiß nicht … keine Ahnung … Aber wir sollten weitergehen.«
Painter wollte sich von der Wand abstoßen, die Ärztin aber drückte ihm die flache Hand auf die Brust und untersuchte weiter seine Augen. »Sie haben einen ausgeprägten Nystagmus«, flüsterte sie besorgt und senkte die Lampe.
»Was?«
Sie reichte ihm eine Feldflasche mit kaltem Wasser und bat ihn, sich auf einen stoffumwickelten Heuballen zu setzen. Er erhob keine Einwände. Der Ballen war steinhart.
»Ihre Augen zeigen einen horizontalen Nystagmus, ein Zucken der Pupillen. Haben Sie einen Schlag auf den Kopf bekommen?«
»Ich glaube nicht. Ist das so ernst?«
»Schwer zu sagen. Das kann auf eine Augen- oder Gehirnverletzung hindeuten. Dergleichen beobachtet man nach einem Schlaganfall, bei multipler Sklerose oder nach einem Schlag auf den Kopf. In Anbetracht Ihrer Schwindelanfälle würde ich auf eine Beeinträchtigung des vestibulären Apparats schließen. Vielleicht im Innenohr. Oder im Zentralnervensystem. Die Störung ist wahrscheinlich nur vorübergehend.« Ihr Gemurmel klang in höchstem Maße beunruhigt.
»Was meinen Sie mit wahrscheinlich , Dr. Cummings?«
»Nennen Sie mich Lisa«, sagte sie, als wollte sie ihn ablenken.
»Also gut, Lisa. Dann könnte es sich also auch um eine permanente Störung handeln?«
Sie wandte den Blick ab. »Ich muss weitere Untersuchungen anstellen, mehr in Erfahrung bringen«, sagte sie.
»Vielleicht könnten Sie mir für den Anfang berichten, was überhaupt geschehen ist.«
Er trank einen Schluck. Ihrer Aufforderung wäre er liebend gern nachgekommen. Während er sich zu erinnern versuchte, flammte hinter seinen Augen ein sengender Schmerz auf. Die vergangenen Tage waren wie im Nebel verschwunden.
»Ich hielt mich in einem der umliegenden Dörfer auf. Mitten in der Nacht waren in den Bergen seltsame Lichter zu sehen. Ich habe von dem Feuerwerk nichts mitbekommen. Als ich aufwachte, war es schon wieder vorbei. Am Morgen aber litten alle Dorfbewohner unter Kopfschmerzen und Schwindel. Ich auch. Ich erkundigte mich bei einem der Ältesten nach den Lichterscheinungen. Er meinte, die träten schon seit Generationen immer wieder auf. Verantwortlich dafür wären böse Geister, die tief im Gebirge
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