Der Genesis-Plan SIGMA Force
überqueren. Ein Bach ergoss sich in einer Abfolge von Wasserfällen in die Tiefe – zu Eis erstarrt, dem Zeitablauf entrückt.
Dahinter, von Schnee und Eisnebel verhüllt, lag eine tiefe, anscheinend bodenlose Schlucht. Das Ende der Welt.
»Wir finden schon einen Weg nach unten«, sagte Painter mit klappernden Zähnen.
Er stapfte in den Sturm hinaus. Erst versanken sie bis über die Knöchel im Schnee, dann bis zu den Waden. Painter pflügte Lisa eine Schneise frei.
»Warten Sie«, sagte Lisa. Sie würde nicht mehr lange durchhalten. Bis hierher hatte er sie mitgeschleift, aber für diese Bedingungen waren sie nicht ausgerüstet. »Dort drüben.«
Sie wandte sich zur Felswand. An der Leeseite waren sie vor dem Wind geschützt.
»Wo?«, wollte er sagen, doch sein Zähneklappern war so heftig, dass er nicht zu verstehen war.
Sie zeigte zum gefrorenen Wasserfall. Taski Sherpa hatte ihnen ein paar Überlebenstechniken beigebracht. Auf die richtige Wahl des Unterschlupfs hatte er besonderen Wert gelegt.
Die fünf aussichtsreichsten Stellen konnte sie auswendig hersagen.
Lisa trat dicht an den Wasserfall heran. Wie Taski es ihr eingeschärft hatte, suchte sie nach der Stelle, wo der schwarze Fels an das bläulich weiße Eis stieß. Ihrem Führer zufolge verwandelte die sommerliche Schneeschmelze die Wasserfälle des Himalayas in wilde Sturzbäche, die tiefe Furchen aus dem Fels herauswuschen. Gegen Ende des Sommers erstarrten die Wasserfälle, und häufig blieb dahinter eine Nische frei.
Erleichtert stellte sie fest, dass dieser Wasserfall keine Ausnahme darstellte.
Im Stillen bedankte sie sich bei Taski und all seinen Vorfahren.
Mit dem Ellbogen zerbrach sie die Raureifkruste und erweiterte die Lücke zwischen Eis und Felswand. Dahinter lag eine kleine Höhle.
Painter trat neben sie. »Lassen Sie mich erst mal nachsehen, ob es auch sicher ist.«
Er zwängte sich durch den Spalt. Im nächsten Moment flammte ein kleines Licht auf und erhellte den erstarrten Wasserfall.
Lisa spähte durch die Lücke.
Painter stand ein paar Schritte entfernt, die Taschenlampe in der Hand. Er leuchtete in der kleinen Nische umher. »Sieht gut aus. Hier sollten wir den Sturm eine Weile überstehen können.«
Lisa zwängte sich zu ihm durch. Kaum hatte sie den Wind und den Schnee hinter sich gelassen, kam es ihr bereits wärmer vor.
Painter schaltete die Taschenlampe aus. Eine künstliche Lichtquelle war eigentlich unnötig. Die Eiswand sammelte das wenige Tageslicht, das der Sturm durchließ, und verstärkte es. Der gefrorene Wasserfall funkelte schillernd.
Painter drehte sich zu Lisa um. Passend zu dem leuchtenden Eis wirkten seine Augen außergewöhnlich blau. Sie forschte in seinem Gesicht nach Anzeichen von Erfrierungen. Aufgrund des scharfen Windes hatte seine Haut eine tiefrote Farbe angenommen. Sein indianisches Erbe war zum Vorschein gekommen. Umso erstaunlicher wirkten seine blauen Augen.
»Danke«, sagte Painter. »Sie haben uns das Leben gerettet.«
Lisa wandte achselzuckend den Blick ab. »Ich war Ihnen noch einen Gefallen schuldig.«
Obwohl ihre Bemerkung eher abweisend geklungen hatte, wärmte ihr seine Anerkennung das Herz – und zwar mehr, als sie erwartet hätte.
»Woher wussten Sie, was uns hier …?« Plötzlich musste Painter heftig niesen. »Hat-schi.«
Lisa ließ den Rucksack zu Boden gleiten. »Genug gefragt. Wir müssen uns beide wärmen.«
Sie zog eine Isolierdecke von MPI aus dem Rucksack. Das dünne Astrolargewebe war imstande, neunzig Prozent der abgestrahlten Körperwärme zurückzuhalten. Und dabei waren sie nicht einmal ausschließlich auf ihre Körperwärme angewiesen.
Lisa packte ein kompaktes Katalyseheizgerät aus, das beim Bergsteigen unverzichtbar war.
»Setzen Sie sich hin«, sagte sie zu Painter und breitete die Decke auf den kalten Fels.
Erschöpft gehorchte er.
Sie setzte sich neben ihn und hüllte sie beide in die Decke. Sie kuschelte sich dicht an Painter an und schaltete den Coleman- Sportcat-Heizer ein. Das Gerät kam ohne Flamme aus. Der Inhalt des kleinen Butanzylinders reichte für mindestens vierzehn Stunden. Wenn sie den Heizer nur vorübergehend einschalteten, würden sie mit der Allwetterdecke zwei bis drei Tage lang durchhalten.
Während der Heizer allmählich auf Touren kam, erschauerte Painter.
»Ziehen Sie Handschuhe und Stiefel aus«, sagte Lisa und ging mit gutem Beispiel voran. »Wärmen Sie die Finger am Heizer und massieren Sie Finger, Zehen, Nase
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