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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Husten folgte sofort. Einen Moment später glitzerte es rot im Gras, und Raoul malte sich aus, dass es keine Tropfen von Blut, sondern winzige Stückchen seiner Lunge waren. So würde es weitergehen, immer weiter, bis nichts mehr davon übrig war, wenn Blaise sich nicht irrte. Und
Raoul wusste, dass der alte Kaplan sich bei solchen Dingen niemals irrte.
     
    Raoul machte sich erst weit nach Mitternacht auf den Rückweg, als er sicher sein konnte, dass Jacques und alle anderen längst schliefen. Nach dem Vorfall vor Blaises Haus wusste das ganze Anwesen, was geschehen war, und er hätte es nicht ertragen, Gesichter voller Sorge und Mitleid zu sehen. Da das Tor bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurde, schlug er in der Talsohle einen halb vergessenen Trampelpfad ein, der neben einem Bach verlief. Das Pferd spürte seine Erschöpfung, so wie zuvor seinen Zorn und seine Furcht, und trottete gemächlich dahin. Als das Brombeergestrüpp zu dicht wurde, trieb Raoul das Pferd durch den Bach, die Böschung hinauf und über den brachliegenden Acker. Der Zaun dort war in einem schlechten Zustand; morsche Pfähle ragten krumm und schief aus dem Boden. Raoul fand eine Lücke, stieg ab und führte das Pferd hindurch.
    Philippe, der Pferdeknecht, hatte sich wie jede Nacht in den Schlaf getrunken; die Weinflasche im Schoß und das Kinn auf der Brust, kauerte er auf seinem Hocker hinter der Stalltür. Raoul versorgte das Pferd, ohne ihn zu wecken, und ging zum Haupthaus. Vor Blaises Haus blieb er stehen. Sein Zorn auf den Kaplan war ebenso schnell vergangen, wie er gekommen war, und es tat ihm leid, dass er ihm Gewalt angetan hatte. Raoul beschloss, ihn trotz der späten Stunde um Verzeihung zu bitten. Doch als er vor der Tür stand, wusste er, dass er es nicht konnte. Ihm war ein hauchdünner Schleier von Hoffnung geblieben, und mit dem Kaplan zu reden würde bedeuten, dass dieser zerriss. Raoul war zu erschöpft, das zu ertragen.
    Morgen ist früh genug, dachte er und lenkte seine Schritte die Treppe des Haupthauses hinauf. Die Tür war nicht verriegelt - Jacques hatte darauf vertraut, dass er zurückkommen würde. Der Saal war leer und still, die Fackeln waren erloschen, im großen
Kamin glühten die letzten Scheite. An zwei der vier Säulen hingen die Geweihe zweier mächtiger Hirsche, dem Wappentier der Bazerats. Die ersterbende Glut zeichnete ihre Schatten verästelt an die Gewölbedecke, ein Dickicht, das jedes Zucken und Flackern des roten Scheins nachvollzog. Der Geruch von Fleisch, Bratfett und Bier hing noch in der Luft. Raoul sah das Nachtmahl vor sich: Schweigen, verstohlene Blicke zu seinem leeren Stuhl, Lysanne, die mühsam die Tränen zurückhielt, Jean, der nicht verstand, was vor sich ging und unruhig auf seinem Sitz herumrutschte, Mägde, die Fleisch und Brot abräumten, das kaum angerührt worden war. Seine Verzweiflung wurde schier übermächtig, und er zwang sich, an nichts zu denken, sich stattdessen der Erschöpfung hinzugeben.
    Vor seiner Kammer stand ein Lehnstuhl, der dort nicht hingehörte. Jacques saß zusammengesunken darauf und schlief, an den Füßen noch die lehmverkrusteten Reitstiefel. Offenbar war er durch den Wald geritten und hatte ihn vergeblich gesucht. Schließlich war er zurückgekehrt, um seinen Bruder hier zu erwarten. Der gute, alte, langweilige Jacques, dachte Raoul, und weil er wusste, wie leicht Jacques’ Schlaf war, öffnete er die Tür fast geräuschlos und schloss sie ebenso leise hinter sich zu.
    Er zog seine Stiefel aus und legte sich in Hosen und Wams aufs Bett - dasselbe Bett, in dem er mit dem Mädchen die Nacht verbracht hatte: eine Erinnerung aus einem anderen Zeitalter, einer anderen Welt. Lange starrte er in die Dunkelheit. War er jemals so müde gewesen? Die letzten Stunden hatten all seine Kraft geraubt. Trotzdem wollte der Schlaf nicht kommen. Immer wenn ihm die Augen zufielen, schreckte er hoch, mit rasendem Herz und der Gewissheit, dass im nächsten Augenblick etwas Furchtbares geschehen würde. Irgendwann stand er auf, zog den Hocker zum Fenster und setzte sich. Er sah zu, wie der Mond langsam über die Hügel zog. Die Schwärze der Nacht wich dem ersten Licht des Tages, in dem das Dach von Blaises Haus genauso grau wirkte wie die Flanken der Hügel und die
Konturen des Waldrandes. Ihm kam der Gedanke, dass er die wenige Zeit, die ihm noch blieb, vielleicht festhalten oder wenigstens in die Länge ziehen konnte, wenn er für immer hier sitzenblieb und jede

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