Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
bewusst. Das Land, aus dem ich kam, existierte gar nicht. Dieses Erlebnis saß mir fortan wie ein Stachel im Fleisch.
Ich kam mit der Absicht, in Frankfurt Medizin zu studieren. Dieser Grund hatte mich, den 19-Jährigen, von der Küste des östlichen Mittelmeers nach Deutschland geführt. Und eigentlich hätte es bei einem Gastspiel von absehbarer Dauer bleiben sollen, denn ich war entschlossen, als Arzt nach Hause zurückzukehren. Dass mir stattdessen die Aufgabe zufallen würde, Freundschaft zwischen meinem Gastland und meinem Volk, zwischen Deutschland und den Palästinensern, zu stiften, habe ich mir nicht im Traum vorgestellt. Dass diese Aufgabe erfüllbar wäre, hätte ich nach meinen ersten Erfahrungen in Deutschland wiederum nicht zu hoffen gewagt.
Es war verwirrend. Was die Welt als Nahostkonflikt bezeichnete, ließ sich für mich bis dahin auf die einfache Formel bringen: Uns war Unrecht geschehen. Unrecht durch die Engländer, die als Kolonialherren die Einwanderung der Juden nach Palästina begünstigt hatten, Unrecht durch die Israelis, die uns unserer Heimat beraubt hatten. In Deutschland verstand ich allmählich, dass dieser Konflikt aus westlicher Sicht eine ganz andere Dimension hatte. Denn für Europäer wie Amerikaner waren Recht und Moral im Nahen Osten in einen scheinbar unauflöslichen Widerspruch geraten: hier der aus moralischen Erwägungen nicht zu bezweifelnde Anspruch der Juden auf einen eigenen Staat, dort der rechtlich begründete Anspruch der ehemaligen Bewohner Palästinas auf Heimat. Wie in einer griechischen Tragödie stand das eine gegen das andere, war das eine nicht durchzusetzen, ohne das andere zu verletzen.
Bei der Zuteilung von Sympathie nun gab das schlechte Gewissen der westlichen Welt den Ausschlag. Ich stellte fest, dass Israel in jedem Fall ein höheres moralisches Recht zugebilligt wurde als den Arabern, und das Recht der Palästinenser auf Heimat wog wenig, wenn auf der anderen Seite die Leidensgeschichte der Juden in die Waagschale geworfen wurde. Nicht verwunderlich, dass Anfang der 60er-Jahre vor
allem in Deutschland die moralische Betrachtungsweise vorherrschte, dass die Parteinahme für Israel bare Selbstverständlichkeit war. Dem Standpunkt des Rechts dagegen Geltung zu verschaffen, musste aussichtslos erscheinen.
In den zweiundvierzig Jahren, die ich als Sprecher, Fürsprecher und Vertreter Palästinas in Deutschland verbrachte, habe ich es dennoch versucht. Ich habe dabei Rückschläge erlebt wie im Spätsommer 1972 nach dem Terroranschlag auf die Olympischen Spiele in München, als sich die verständliche Empörung der Deutschen in der Ausweisung von mehr als dreihundert Palästinensern Luft machte – auch ich wurde damals des Terrorismus beschuldigt und abgeschoben. Umso erstaunlicher, dass ich mit der Zeit Gehör fand, bei der deutschen Bevölkerung wie bei den deutschen Politikern. Und schließlich waren es die Deutschen, denen ich meinen ersten ordentlichen palästinensischen Pass verdankte.
1994 sah es so aus, als stünde einem Staat Palästina nichts mehr im Wege. Arafat war in die von Israel besetzten Gebiete zurückgekehrt, und mit ihm alle, die in den vergangenen Jahrzehnten mit den Mitteln des bewaffneten Kampfes und der Diplomatie auf diese Rückkehr hingewirkt hatten. Und vor meinem Bonner Büro wehte seit Kurzem die Flagge Palästinas. In dieser Situation machte sich der Bundestagsabgeordnete Hans-Jürgen Wischnewski dafür stark, die neuen palästinensischen Pässe in Deutschland herzustellen. Ben Wisch, wie er allenthalben genannt wurde, lag die arabische Sache seit Langem am Herzen, und es gelang ihm, die Bundesdruckerei in Berlin für diesen Plan zu gewinnen. Der damalige Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Carl-Dieter Spranger, unterstützte das Vorhaben, und 1996 wurden tatsächlich 1,5 Millionen Pässe gedruckt und an die palästinensische Autonomiebehörde ausgeliefert – als Geschenk der Bundesrepublik Deutschland. Vierunddreißig Jahre, nachdem mich ein deutscher Beamter auf dem Frankfurter Flughafen
darüber belehrt hatte, dass es kein Palästina gebe, hielt ich einen in Deutschland gedruckten Pass in Händen, der mich als Bürger eben dieses Landes auswies! Für mich ging damit ein politischer Traum in Erfüllung.
Seitdem gehört die Bundesrepublik zu den zuverlässigsten Freunden Palästinas, unabhängig davon, welche Partei die Regierung stellt – eine bemerkenswerte Entwicklung. Es ist wohl so:
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