Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
von Horizont zu Horizont erstreckte. Weizen-, Gerste- und Maisfelder wechselten mit Gemüsegärten und Obstplantagen, und diese grenzenlose, fruchtbare Weite gehörte uns, der Familie al-Frangi, so wie uns auch die großen Schafherden gehörten, die unsere Hirten unter der glühenden Sonne vor sich hertrieben, und die Kamele, die in der Erntezeit zu Karawanen zusammengestellt wurden, um Getreide zum Markt von Gaza oder Melonen zum Markt von Jaffa zu schaffen. Wie eh und je wurde der Ferntransport bei uns mit Tieren bewerkstelligt, Lastwagen sah man selten, aber mein Vater hatte durchaus ein offenes Ohr für die Verheißungen moderner Technik. Möglich, dass ihm das Reiten aufgrund seiner Verletzung schwerfiel, denn auch Pferde besaßen wir genug, jedenfalls bewegte er sich meist mit einem Jeep durch seine Ländereien, und auf seinen Feldern kamen Caterpillar-Traktoren zum Einsatz, deren Wartung übrigens in den Händen zweier jüdischer Mechaniker lag – schon sein Wirklichkeitssinn verbot meinem Vater, Unterschiede zu machen, die nichts mit den Fähigkeiten eines Menschen zu tun hatten. Ungewöhnlich genug für einen Scheich, liebte er körperliche Arbeit und ließ sich auch von der größten Hitze nicht davon abhalten, selbst das Steuer eines Traktors zu übernehmen oder sich in einem Orangenhain an der Ernte zu beteiligen.
Die nächstgelegene Stadt hieß Beerscheva – ein Städtchen am nördlichen Rand der Negev-Wüste, das schon fast außerhalb unseres Gesichtskreises lag, denn das eigentliche Leben spielte sich auf dem weitläufigen umzäunten Grundstück ab, dessen Mittelpunkt unser Palast bildete und auf dem immer nur für wenige Nachtstunden Ruhe einkehrte.
Diesen Palast hatte mein Vater vor meiner Geburt errichten lassen, vermutlich nach eigenen Vorstellungen, denn er hatte
eine Schwäche für Architektur und griff gern in die Bauplanung ein. Die architektonischen Besonderheiten habe ich mir als Kind nicht eingeprägt, aber ich erinnere mich an ein kolossales, ziemlich prächtiges Gebäude mit flachem Dach, an dessen Ausmaße kein anderes Haus der ganzen Gegend heranreichte. Es kam vor, dass ich mich in seinem Inneren verlief – alle Gänge, Zimmer, Kammern und Winkel zu erforschen, reichten jene fünf Jahre, die mir nach meiner Geburt bis zu unserer Flucht blieben, nicht aus. Erbaut war er aus massiven Blöcken von weißem Hebronstein, der im Licht der Abendsonne in einem warmen Roséton aufleuchtete. Dieser rötliche Schimmer war ein Zeichen außergewöhnlichen Wohlstands, denn nur besonders wertvoller Hebronstein nahm im späten Abendlicht diese Färbung an.
Das Leben spielte sich allerdings vorwiegend im Umkreis unseres Palastes ab, draußen, zwischen den alten Bäumen, die ringsum wohltuende Schatten warfen, und großen Beduinenzelten aus schwarzem Ziegenfell, die aus Nomadentagen in die Zeit unserer Sesshaftigkeit hinübergerettet worden waren und sich auf der Rückseite des Hauptgebäudes in einem weitgezogenen Halbkreis aneinanderreihten, jedes geräumig genug, zwanzig Dauergäste aufzunehmen. Auch gekocht wurde unter freiem Himmel, auf offenen Feuerstellen in großen, bauchigen Kesseln, und zwar ohne Unterlass, von morgens bis abends, denn unser Grundstück glich in der Regel einem Heerlager.
Eines der Zelte bewohnten unsere Hirten. In weiteren Zelten wurden die Arbeiter untergebracht, die zur Erntezeit auf den Feldern aushalfen, die meisten von ihnen hitzeerprobte Leute aus den Küstenstädten des heutigen Gazastreifens. Andere Zelte waren Besuchern vorbehalten, die nur für ein paar Tage vorbeischauten. Und dazu kamen die Tagesgäste, Verwandte, Nachbarn, Freunde, Fremde – das Haus des Scheichs war aus den verschiedensten Gründen für viele eine Anlaufstelle.
Oft handelte es sich um Leute seines Stammes, die sich nach einem Streit auf der Suche nach einem Schlichter oder Richter der Weisheit meines Vaters anvertrauten – er zog sich dann mit ihnen in einen bestimmten Raum des Hauses zurück, wo sie unter sich waren, oder man begab sich in eines der Zelte und tagte dort. Und bisweilen waren es Zigeuner, die uns ihre Dienste anboten, wozu die Beschneidung der Knaben und die Tätowierung der Mädchen gehörten. Die Zigeuner Palästinas lebten von solchen Dienstleistungen. Sie ritten auf ihren Eseln von Stamm zu Stamm, und wenn sie zu uns kamen, wurde ihnen wie allen anderen ein Zelt als Wohnung zugeteilt, wo sie so lange blieben, bis alle Mädchen aus der weiteren Nachbarschaft
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