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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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Abendveranstaltung in Frankfurt zusammengeschlagen worden und hatte schwere Kopfverletzungen davongetragen. In derselben Nacht träumte meine Mutter, ein israelisches Kampfflugzeug fliege über sie hinweg, während sie auf dem Dach ihres Hauses die Wäsche aufhänge, und streife dabei ihren Scheitel. Mit dem Gedanken an mich schreckte sie aus dem Schlaf auf, eine Hand schützend auf ihren Kopf gelegt. Am folgenden Tag kam über den arabischen Dienst der BBC die Meldung, ich sei von einer Schlägerbande lebensgefährlich verletzt worden. Meine Mutter fiel in Ohnmacht. »Ich wusste, dass dieser Traum mit dir zusammenhing«, sagte sie mir später.

    Meine Verbindung zu ihr war von anderer Art als die zu meinem Vater, aber nicht weniger eng. Ein – sozusagen technischer  – Grund dafür war sicherlich, dass meine Mutter gegen alle Gepflogenheiten der Zeit die einzige Ehefrau meines Vaters war und blieb. Sämtliche übrigen Scheichs von Beerscheva waren mit vier Frauen verheiratet. Das gehörte sich so, das war auch eine Frage der Stärke, so brachte man es auf eine größere Kinderzahl, und der Stamm wuchs schneller. Nur mein Vater begnügte sich mit einer einzigen Frau, deren Beitrag zum Wachstum des Stammes sich allerdings sehen lassen konnte: Alle anderthalb Jahre brachte sie einen Sohn oder eine Tochter zur Welt und schenkte insgesamt zehn Kindern das Leben, sieben Knaben und drei Mädchen. Ich war das fünfte. Vor mir kamen Mohammed, Fatima, Achmed und Mariam. Von den nächsten fünf waren alle Knaben, bis auf das letzte.
    Ein weiterer Grund könnte sein, dass meine Mutter sich bei meiner Namensgebung zum ersten Mal durchsetzte, denn Abdallah war der Name ihres Vaters gewesen, mit dem es eine besondere Bewandtnis hatte. Besagter Abdallah war nämlich gegen Ende der osmanischen Herrschaft über Palästina von den Türken gefangen genommen und als Meuterer zum Tode verurteilt worden. Bei der Urteilsvollstreckung waren alle Nachbarn zugegen, auch meine Mutter musste als kleines Mädchen zuschauen, und es traten ihr jedes Mal die Tränen in die Augen, wenn sie uns erzählte, wie ihr Vater an einen Lkw gebunden über den steinigen Boden zu Tode geschleift worden war. Die blutverschmierte Leiche muss ein entsetzliches Bild geboten haben, das meine Mutter zeitlebens verfolgte.
    In der Erinnerung an ihren Vater mischten sich bei meiner Mutter gleichermaßen Stolz und Schrecken, und mit der Zeit musste ich den Eindruck gewinnen, dass sie beide Gefühle auch mir entgegenbrachte, stärker jedenfalls als ihren anderen Kindern. Sie bangte mehr um mich, sie umsorgte mich
auch in einer Weise, die eine besondere Beziehung zu mir verriet. Meine Unbändigkeit lieferte ihren Befürchtungen allerdings auch ständig neue Nahrung. So kletterte ich beispielsweise gern am Mittelmast der Zelte hoch und rutschte, in der Zeltspitze angekommen, an dem glatten Stamm wieder herunter. In manchen dieser Masten steckten Nägel, an denen man Beutel und Kleider aufhängte, und einmal riss ich mir an einem solchen Nagel beim Hinunterrutschen die rechte Achsel auf. Meine Mutter, die schon bei geringen Mengen Bluts außer sich geriet, machten ihrem Schrecken in einer Flut von Entsetzensschreien Luft. »Was hat dich da hochgetrieben? Was hast du da oben zu suchen? Bete ich nicht schon genug für dich?« – in dieser Art ging es eine ganze Weile.
    Wir Kinder belächelten insgeheim ihre bekümmerte Art. Aber ich erlebte auch Momente größter Nähe und Vertrautheit mit ihr. Das Schönste war für mich, nach dem ersten Gebet des Tages, in der letzten Dunkelheit der Nacht mit ihr an dem Lehmofen vor unserem Haus zu sitzen und ihr beim Brotbacken zuzuschauen. Dieses Brot war für die Familie reserviert und schmeckte so gut, dass ich den ersten Bissen kaum erwarten konnte. Und obwohl völlig ungebildet, war meine Mutter auch meine erste Lehrerin. Denn bei all der Arbeit, die sie hatte, fand sie abends oft noch die Zeit, uns draußen am Feuer Geschichten zu erzählen, Gutenachtgeschichten, mit denen sie uns endlich zur Ruhe bringen wollte.
    Es waren Märchen darunter, die man auch in Europa kennt, »Schneewittchen und die sieben Zwerge« zum Beispiel. Manchmal erzählte sie auch aus ihrer eigenen Kindheit oder bediente sich aus dem Fundus der arabischen Sagengestalten  – ich erinnere mich besonders gut an die Gestalt des Antar, einen unbesiegbaren Kämpfer mit riesigem Schnurrbart, der seine Feinde im Handumdrehen erledigt und am Ende mit Abla, der

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