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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Abdallah Frangi
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verschönert und an Stirn und Mundwinkeln tätowiert waren.
    Jedenfalls ging der übliche Tumult schon morgens los, wenn nach und nach aus allen Himmelsrichtungen Reiter eintrafen, den Weg zum Hauptgebäude hochtrabten, von den Pferden sprangen und sich ins Haus begaben oder die Zelte ansteuerten. Hielten sich meine älteren Brüder in der Nähe auf, rissen sie sich darum, die Pferde der Ankömmlinge zu übernehmen und an einer der Eisenstangen festzubinden, die zu diesem Zweck unter den Baumkronen in die Erde eingelassen waren. Und es verstand sich von selbst, dass alle diese Menschen von uns verköstigt wurden.
    Kaum waren die ersten Gäste eingetroffen, wurde geschlachtet  – an Schafen herrschte kein Mangel –, und bald darauf verbreitete sich der Duft von köchelndem Lammfleisch über das ganze Grundstück. Undenkbar, dass ein Gast ohne ausgiebige Mahlzeit wieder abzog, dass Hirten und Arbeiter nicht wie die eigene Familie bewirtet wurden. Es war wie in den alten, ja den ältesten Zeiten, wie bei Abraham: Nichts war wichtiger, als jedem Gast Brot, Reis und Fleisch anbieten zu können. In unserem Fall handelte es sich allerdings um unvorstellbare Mengen. Meine Mutter war folglich tagsüber
unentwegt mit Essenszubereitung beschäftigt, unterstützt von meinen älteren Schwestern und allen weiblichen Verwandten, soweit sie mit ihren Familien in der Nähe wohnten. Gekocht wurden der Reis und das Fleisch in Messingkesseln, die sich über Generationen vererbt hatten und von denen gewöhnlich zehn bis zwanzig im Einsatz waren.
    Gegessen wurde ebenfalls in den Zelten, und selbstverständlich mit der Hand. Die Gäste knieten dann im Kreis – oft in vielen Kreisen – um die flachen Schüsseln herum, auf denen das Essen serviert wurde. Uns Kindern fiel die Aufgabe zu, gegen Ende der Mahlzeit mit Seife, Kännchen und Handtuch von einer Gruppe zur anderen zu gehen und denen Wasser anzubieten, die sich das Fett von den Händen spülen wollten. Zum Essen kamen wir erst, wenn alle fertig waren. Meinem Vater ging es oft genug nicht anders. Vor allem bei hohem Besuch, wenn etwa die Oberhäupter der Stämme uns ihre Aufwartung machten, verlangte es seine Rolle als Gastgeber, von Zelt zu Zelt zu gehen und sich um alle zu kümmern. Er erkundigte sich, ob jeder zufrieden war, und setzte sich hier und da zum Chef einer Gruppe, griff in die Schüssel, nahm ein Stück Fleisch heraus und reichte es ihm, eine Geste der Freundschaft und Ehrerbietung. Nur wenn sich Verwandte oder gute Bekannte zum Essen einfanden, aßen wir alle mit, zuweilen sogar meine Mutter. Gewöhnlich wurde jedoch die Trennung der Geschlechter strikt eingehalten.
    Aus heutiger Sicht muss unser damaliges Leben wie ein einziges Fest anmuten. Jedenfalls war der Aufwand entsprechend, und zum Erstaunlichsten gehört für mich, dass dieser ausufernde Haushalt einer jungen Frau von Ende zwanzig unterstand, die nie lesen und schreiben gelernt hatte. Ich spreche von meiner Mutter. Zwar lebte auch eine Großmutter bei uns, die Mutter meines Vaters, doch rührte sie im Haushalt nichts an – ihre Funktion erschöpfte sich darin, Würde auszustrahlen. Ich habe sie als schöne Frau mit einem vornehmen, weißen
Gesicht und hennarot gefärbtem Haar in Erinnerung, die sich die meiste Zeit damit begnügte, in edler Zwecklosigkeit majestätisch umherzuschreiten. Ihr Vater war das Oberhaupt eines ganzen Stammes gewesen, und sie ließ jeden spüren, dass sie einer Herrscherfamilie entstammte. Als einzige Frau hielt sich diese Großmutter von jeder nützlichen Tätigkeit fern und war damit das genaue Gegenteil meiner Mutter, die selbst nachts keine Ruhe fand, solange irgendjemand noch etwas brauchte.
    Möglicherweise lebte sie in dem Glauben, ihren Platz in diesem Haus durch Leistung täglich neu erkämpfen zu müssen, denn meine Mutter war eine schlichte und zudem über alle Maßen ängstliche Frau, die in Gefahrensituationen, wie sie später eintraten, allerdings über sich hinauswachsen konnte und dann einen Mut bewies, der alle in Erstaunen versetzte. Vorläufig erlebten wir sie als einen Menschen, der sich unentwegt Sorgen machte – vor allem um mich, das lebhafteste und unbändigste ihrer Kinder – und unablässig Gott anflehte, dieses oder jenes zu verhindern oder von uns abzuwenden, und schon aufschrie, wenn eine Maus durchs Zimmer lief. Ihr seismografisches Gespür für Gefahr bezeugt vielleicht am besten eine Episode, die ins Jahr 1969 fällt. Ich war bei einer

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