Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Durchmesser ist auf den ersten Blick gleich dem Kaliber, bei der .38er folglich so um die 9,5 Millimeter.
Aus der Nase ist Blut ausgetreten. Ich nehme an, es kam aus den vorderen Schädelgruben und ist über das Siebbein, das ist der Knochen hinter der Nasenwurzel, in die Nasengänge eingesickert.
Die Lage der Leiche ist nach dem Schuss nicht verändert worden. Die Blutablaufspur, an der Wunde entlang der Wange nach unten, lässt darauf schließen.«
Sie kippte den Schädel von der linken in die rechte Hand und fuhr fort: »Das Projektil, ich tippe auf ein Vollmantelgeschoss, ist oberhalb des linken Ohres ausgetreten. Der Ausschuss ist unauffällig, wie ihr seht. Die Platzwunde ist mehrstrahlig und adaptierbar. Einschusszeichen fehlen. Auf dem Tisch, dort, wo der Schädel lag, seht ihr eine handtellergroße Blutlache. Auch das ist normal.
Mein erstes Urteil lautet: Suizid, ein aufgesetzter Schuss mit der .38er, die am Boden liegt. Dritte Hand, sprich Fremdverschulden, ist wenig wahrscheinlich. Alles Weitere … ihr wisst schon.«
»Todeszeitpunkt?«, fragte Heinlein.
»Mach ich gleich. Zuvor müssen wir das Projektil finden.«
Pia schaute über die Schulter zurück, suchte den Verlauf des Geschosses nachzuzeichnen. Heinlein tat es ihr gleich. Zwischen gebrauchten Aktenordnern, einer dahinvegetierenden Topfpflanze und der grellen Nachbildung einer goldenen Oscar-Statue suchten sie die Wand seitlich des Opfers ab. Es dauerte nicht lange, dann hatte Heinlein gefunden, wonach sie suchten. Das Projektil ragte zwei Millimeter heraus und landete mit einem leichten Ruck auf der gummigeschützten Hand. Das Geschoss war an der Spitze breit gestaucht, einem Pilz gleich.
»Ins Labor damit«, beauftragte er einen EDler, »und die Schussbahn aufzeichnen nicht vergessen. Seid ihr mit der Waffe fertig?«
Ein EDler nickte. Heinlein nahm die .38er in die Hand, roch daran und kippte die Trommel heraus. Nur ein Hütchen zeigte die Einkerbung des Schlagbolzens.
»Sucht dennoch den ganzen Raum ab, damit wir sichergehen, dass nur einmal geschossen wurde.«
Er reichte dem EDler die Waffe und fragte: »Ist ein Abschiedsbrief vorhanden?«
»Nein, wir konnten nichts finden.«
Pia verpackte währenddessen die beiden Hände des Opfers in Plastiktüten, um die Schmauchspuren nicht zu verwischen. »Kannst du mir mal helfen?«, fragte sie Kilian.
»Wobei?«
»Hast du denn in den vier Wochen alles vergessen, was du mal über die Tatortaufnahme gelernt hast?«
Es dauerte eine Sekunde, bis Kilian begriffen hatte. Widerwillig half er ihr, den Leichnam vom Stuhl auf den Boden zu legen.
»Ausziehen kannst du ihn aber alleine«, sagte Kilian.
»Ein wahrer Gentleman, danke.«
Pia machte sich daran, den Leichnam zu entkleiden. Totenflecke, Totenstarre und mögliche weitere Verletzungen am Leichnam mussten überprüft werden.
Nachdem der Mann nackt vor ihr lag, griff sie mit einer Hand unter dessen Oberschenkel, mit der anderen umfasste sie das Fußgelenk. Dann beugte sie das Bein im Kniegelenk. Es gelang ihr ohne Widerstand; die Leichenstarre war noch nicht eingetreten. Ein erster Hinweis, dass der Eintritt des Todes noch keine zwei Stunden her war. Grauviolette Totenflecke erstreckten sich über die Oberschenkel, den Bauch, das Gesäß, die Rückseiten der Oberschenkel bis hinunter zu den Füßen. Die Totenflecke waren leicht mit dem Finger wegdrückbar. Ein weiteres Zeichen, dass der Tod in den letzten zwei Stunden eingetreten war. Um ganz sicherzugehen, überprüfte sie die Körpertemperatur. Mit einem Skalpell machte sie einen etwa zwei Zentimeter langen Schnitt im linken Unterbauch. Mit der einen Hand zog sie die Wunde auseinander und führte mit der anderen das elektronische Thermometer ein. Das Display zeigte 36,7 Grad Celsius. In der ersten Stunde post mortem verliert der Körper keine Temperatur, also wies auch diese Anzeige auf einen Todeszeitpunkt hin, der maximal innerhalb der letzten zwei Stunden gelegen hatte, wegen der unveränderten Körpertemperatur würde sie sich sogar auf eine Stunde festlegen lassen.
»Mit wem hatte der Tote zuletzt Kontakt?«, fragte Kilian einen EDler.
»Keine Ahnung«, erwiderte der, »aber der Ludewig könnte es wissen.«
Heinlein ging auf den Gang hinaus und rief Ludewig zu sich, der die trauernde Frau zwei Sanitätern übergab. »Wissen Sie, mit wem der Tote zuletzt gesprochen hat?«, fragte Heinlein.
Ludewig musste nicht lange überlegen, vermied jedoch eine überhastete Antwort. »Meiner
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