Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
Vom Netzwerk:
Zuschauerraum befinden.
    Auf der gegenüberliegenden Seite der Bühne warteten Leporello und Donna Elvira in einer Gasse auf ihren Einsatz. Sie standen dort ganz still, hörten den verführerischen Gesang des
Don Giovanni
. Und in der Tat, Takahashi mimte ihn gut. Gesanglich einwandfrei und spielerisch überzeugend umgarnte er die nächste Ahnungslose, die sich hinter dem Fenster versteckt hielt. Wie ein Dieb in der Nacht kletterte er behände das Gestänge hoch, machte es sich auf dem Umlauf bequem und sang sein Werben über die nächtlichen Dächer hinweg. Raimondi hatte eine glückliche Hand mit ihm bewiesen. Takahashi machte seinen Vorgänger Vladimir vergessen und erfand sich im Kleide eines europäischen Don Juan neu.
    Dieses Bild würde am Abend und in den folgenden Tagen in den Zeitungen erscheinen, darüber hinaus die bewegten Bilder der Fernsehkameras, von denen Kilian zwei zwischen Orchestergraben und erster Reihe erkannte.
    Jeanne zupfte ihn am Hemd, bat ihn, die Nullgasse frei zu machen, damit die Sänger beim Betreten und Verlassen der Bühne nicht behindert wurden. Kilian gehorchte, stahl sich still durch die beiden Stahltüren auf den Gang hinaus.
    Er erinnerte sich, dass Vladimir bei seiner Aussage angegeben hatte, er sei zum Zeitpunkt des Todes von Sandner allein auf seinem Zimmer im zweiten Stock gewesen. Kilian nahm die Chance wahr und schaute nach, ob Vladimir sich unter Umständen dort aufhielt. Über das zweite Treppenhaus gelangte er schnell ins zweite Stockwerk. Er prüfte jede Tür, an der er vorbeiging. Alle waren verschlossen.
    Bis auf eine, und aus der trat der Dramaturg Ludewig mit einem Bündel Zeitungsberichten in der Hand heraus.
    Er steuerte auf Kilian zu. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.
    »Ja«, antwortete Kilian. »Haben Sie vielleicht Vladimir gesehen?«
    »Nein, und meines Wissens hat er seine Sachen bereits gepackt.«
    »Sie meinen, er hat das Haus verlassen.«
    »Nach Auskunft Reichenbergs wollte er sich nicht mit einer anderen Rolle zufrieden geben.«
    »Gibt es eine Telefonnummer, unter der er erreichbar ist?«
    Ludewig legte die Zeitungsausschnitte auf den Boden und machte sich daran, die alten Besprechungen von Aufführungen des Mainfrankentheaters und anderen Häusern vom Anschlagbrett abzunehmen.
    »Im Normalfall muss jeder Solist am Hause vierundzwanzig Stunden erreichbar sein. Das ist die so genannte Residenzpflicht. Bei Vladimir ist alles etwas anders, schon seit Beginn an. Er rückte seine Handynummer einfach nicht raus und hielt sich auch nicht an die Reisebeschränkung, die es ihm verwehrt, sich während einer Produktion weiter als dreißig Kilometer vom Theater zu entfernen.«
    »Wozu muss denn jeder Solist erreichbar sein und darf sich nicht weiter als dreißig Kilometer entfernen?«, fragte Kilian.
    »Ganz einfach: Wenn jemand wegen Krankheit ausfällt, muss schnell Ersatz gefunden werden. Und das am besten mit vorhandenem Personal, ansonsten müssen wir auf ein teures Engagement von außen zurückgreifen.«
    Ludewig hatte inzwischen alle alten Zeitungsausschnitte eingesammelt. »Könnten Sie mir kurz helfen?«, fragte er und drückte sie Kilian in die Hand. Dann griff er zu den neuen am Boden und befestigte einen nach dem anderen.
    Kilian überflog die meisten Ausschnitte, bis er an dem einen, von dem Heinlein gesprochen hatte, hängen blieb; er war auf den vorhergehenden Monat datiert, erschienen im Schweinfurter Tagblatt, das in Würzburg nicht gelesen wurde. Der Bericht sprach von einem geglückten Experiment, das auf die junge Franziska Bartholomä vom Mainfrankentheater zurückging. Sie habe mit ihrer Interpretation der Zauberflöte einen zeitgenössischen Bezug gegeben, den die Zuschauer mit viel Applaus honorierten.
    Darüber hinaus las er von den nächsten Projekten und Zielen, die die junge Komponistin in Angriff nehmen wollte. Der
Don Giovanni
sei es, die Oper aller Opern, die die Mozartspezialistin neu auf die Bühne bringen wollte. Daher suche sie nach einem Ansatz, wie die Oper zeitgenössisch zu inszenieren sei. Das Dirigat, das sie seit langem anstrebte, sei ihr bisher jedoch versagt geblieben.
    Kilian stutzte. Wenn er die Aussage richtig verstand, dann hatte Franziska Bartholomä schon vor Wochen mit der Inszenierung des
Don Giovanni
gedanklich gespielt. Das bedeutete, dass sie bereits zu Probenbeginn mit Fred Sandner ihre eigenen Vorstellungen zur Neuinterpretation der Oper hatte; so lautete zumindest ihre Aussage in dem Bericht. Doch zu

Weitere Kostenlose Bücher