Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Moment herrschte Stille unter ihnen, als sie aber erkannten, dass es sich nicht um einen Gast handelte, machten sie weiter. Nur einer blieb unbeteiligt. Er trat hervor und sagte: »Ich hatte Dienst.«
Es war ein Mann, Ende vierzig, im klassischen Anzug eines Kellners, dunkle Hose, rot karierte Weste, weißes Hemd.
Kilian nahm eine der Zeitungen zur Hand, die für die Gäste an der Garderobe auslagen. Er blätterte die Kulturseite auf. Dort war Raimondi abgelichtet, wie er vergebens das Mainfrankentheater durch den verschlossenen Haupteingang betreten wollte. »Haben Sie diesen Herrn an dem betreffenden Abend bedient?«
Der Kellner schaute auf das Bild. »Herrn Raimondi? Ja, klar. Er trank einen Riesling Kabinett.«
»Sie kennen ihn?«
»Heute schon. Inzwischen ist ja sehr viel über das Theater und den
Don Giovanni
berichtet worden. Daher kenne ich ihn mit Namen.«
»Können Sie mir sagen, ob Herr Raimondi an dem betreffendem Abend in Gesellschaft war?«
Der Kellner dachte nach. »Zuerst nicht. Doch dann kam eine junge Dame zu ihm an den Tisch. Ich glaube, sie bestellte eine Cola.«
»Können Sie sich erinnern, wie sie ausgesehen hat?«
»O mein Gott, das ist ja Tage her. Ich weiß zwar noch, was sie bestellt hat, aber wie sie ausgesehen hat, beim besten Willen nicht.«
Kilian zog einen anderen Zeitungsartikel hervor und zeigte ihn ihm. »War es diese Frau hier?«
Der Kellner studierte das Bild. »Hm, ich weiß nicht, ähnlich ist es ihr schon …«
»Wissen Sie vielleicht, worüber sie sich unterhalten haben?«
Er wich zurück. »Also, bitte, ich belausche doch nicht die Gespräche meiner Gäste.«
»Sicher, sicher. Es hätte ja sein können, dass Sie zufällig ein Wort aufgeschnappt haben, so im Vorbeigehen.«
Der Kellner wollte die Unterhaltung möglichst schnell beenden. Seine Gäste und die Kollegen fingen schon an, nach ihm zu sehen. »Es tut mir Leid, wenn ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte, aber ich muss jetzt wirklich zurück an meine Arbeit.«
Kilian ließ ihn gehen, bedankte sich. Er war bereits auf dem Weg nach draußen, als ihn eine junge Frau ansprach. Es war eine der Kellnerinnen, die ihre Schicht beendet hatte und nun nach Hause ging. »Ich könnte Ihnen unter Umständen etwas über die beiden erzählen.«
Die junge Frau war um die fünfundzwanzig, zierlich, Jeans und T-Shirt mit der Aufschrift cu, Bar & Lounge. Sie wirkte nicht wie eine typische Bedienung.
Kilian blickte auf sie herunter. Sie reichte ihm gerade bis zur Brust. Er lächelte sie an. »Hey, das wäre klasse.«
»Begleiten Sie mich«, sagte sie und ging voran.
»In ein paar Minuten beginnt meine andere Schicht im cu. Wenn Sie Zeit haben, können Sie mich dorthin begleiten und mir einen ausgeben.«
Die Kleine kam direkt zur Sache. Kilian war gespannt.
»Ich habe zurzeit Semesterferien«, begann sie, »und ich brauch die Kohle, damit ich mir mein letztes Jahr noch finanzieren kann.«
»Was studieren Sie?«
»Sinologie. Nach meinem Examen geht es dann ab nach China.«
»Schon ’nen Job?«
»Nee, noch nicht. Ich will mich drüben umschauen. Ferien und Jobsuche miteinander verbinden.«
Sie bogen vom Vierröhrenbrunnen in die Karmelitenstraße ein. Kilian sah die Beleuchtung des cu bereits von weitem. Die Straße war im Begriff, sich als neue Fressund Saufmeile in Würzburg zu etablieren, nachdem ihre Vorgängerin, die Sanderstraße, von protestierenden Anwohnern zur beruhigten Zone prozessiert worden war.
»Was können Sie mir über Raimondi und seine Begleitung sagen?«, fragte Kilian.
»Ich hatte Dienst am Nebentisch. Der Typ hat mich angebaggert wie blöd. Himmel, der könnte mein Vater sein. Er sah zwar nicht schlecht aus, aber ich bevorzuge jüngere Männer. So in Ihrem Alter ungefähr.«
»Danke.«
»Auf jeden Fall kam dann dieser Feuermelder dazu.«
»Wie bitte?«
»Sie hatte schreiend rotes Haar, wild durcheinander gestylt. Sah nicht schlecht aus, aber ein bisschen laut.«
Kilian zeigte ihr den Zeitungsartikel. Sie blickte kurz drauf. »Ja, das ist sie. Sie haben sich sehr intensiv unterhalten. Das Gespräch habe ich zwar nicht genau mitbekommen, aber es ging um das Theater. So viel habe ich verstanden.«
»Noch ein bestimmtes Detail, das Ihnen vielleicht noch in der Erinnerung ist?«
Sie waren vor dem cu angekommen. Der Laden machte einiges her. Hohe Fenster, hohe Decken, zentrale Bar, gedämpftes Licht und wache Augen.
»Erst, wenn Sie den Arm um mich legen«, sagte die Kleine und strahlte ihn
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