Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
warst. Beruhige dich, ich war es auch nicht. Ich war nur die Eskorte für Raimondi. Und was mein Gespräch mit der Oberbürgermeisterin angeht, das Gegenteil ist der Fall. Ich habe dich in Schutz genommen. Sie hat daran gezweifelt, ob du die Ermittlungen alleine führen kannst.«
»Wer’s glaubt, wird selig. Was hätte der Polizeipräsident sonst für einen Grund gehabt, mich am nächsten Morgen über den Fortgang der Ermittlungen zu sich zu bestellen, wenn du mich nicht bei der Oberbürgermeisterin angeschwärzt hättest? Ein Anruf hätte genügt.«
»Ich habe keine Ahnung, was mit dir und dem Präsidenten los ist. Es ist mir auch egal. Anfängliches Misstrauen deiner Vorgesetzten musst du aushalten, wenn du Leiter eines Dezernats geworden bist, so wie auch ich damit umgehen musste. Ich merke nur, dass du mich hintergehst. Deine Kommentare zu meiner Arbeit waren in der letzten Zeit unter jedem Niveau, und jetzt spielst du irgendwelche Spielchen hinter meinem Rücken. Mein Gott, wenn ich das früher gewusst hätte, wäre ich gleich nach deiner Feier wieder abgezogen.«
»Und wieso hast du das nicht getan?«
»Weil ich glaubte, du seist mein Freund. Du hattest mich darum gebeten. Schon vergessen?«
»Ja, das dachte ich auch, dass du mein Freund bist. Aber ich muss mich geirrt haben.«
Kilian ließ die Worte im Raum stehen. Es war alles gesagt. Das war nun das Ende einer Freundschaft.
Zum Teufel damit, sagte er sich, wenn er es unbedingt so wollte, dann sollte er seinen Mist alleine machen. Für ihn war die Sache hiermit erledigt.
Er stand auf und verließ wortlos den Raum. Heinlein weinte ihm keine Träne nach.
Seine Sachen waren schnell gepackt. Es würde ein Abschied auf immer sein.
Er machte sich zu Fuß auf den Weg zum Bahnhof. Es war nicht weit, und er würde rechtzeitig einen Zug nach München und von dort nach Ancona bekommen. Das Thema Würzburg, Heinlein und Job war damit abgehakt. Er hatte es sich anders gewünscht, freundlicher, ohne verbrannte Erde hinter sich zu lassen, aber es ging nicht immer nach seinem Willen. Er musste sich damit abfinden.
Während er ging und sich allmählich beruhigte, schossen ihm Gedanken durch den Kopf.
Was, wenn der Zeuge sich nicht geirrt hatte? Was, wenn Franziska tatsächlich diejenige war, die Sandners Tod auf welche Weise auch immer zu verantworten hatte? Doch was war ihr Motiv? Sie hatte bisher keinen Vorteil aus seinem Tod ziehen können, genauso wenig wie die anderen Ensemblemitglieder. Der Einzige, der wirklich profitiert hatte, war Raimondi gewesen. Er hatte das Engagement bekommen. Damit eine weitere Chance, sich als Star-Regisseur einer Oper zu profilieren. Öffentlichkeitsarbeit hatte er genug betrieben, sodass er sich sicher sein konnte, dass seine Arbeit mit dem
Don Giovanni
genug Aufmerksamkeit bekommen würde.
Und da gab es ja auch noch Aminta Gudjerez. Die Garibaldi und Batricio hatten gemutmaßt, dass sie der eigentliche Grund für Raimondis Anwesenheit sei. Was hatte er mit ihr vor? Batricio meinte, er wolle mit ihr eine zweite Karriere beginnen. War das für ihn tatsächlich so erstrebenswert? Raimondi, gleichzeitig Regisseur und Manager einer der großen Hoffnungen am deutschsprachigen Opernhimmel?
Kilian fand keine Antwort darauf. Bei dem Persönlichkeitsbild, das er von Raimondi hatte, war es nicht ausgeschlossen. Er suchte die Herausforderung, fast krankhaft den Erfolg, egal, auf welche Weise und auf welchem Gebiet.
Doch zurück zum Motiv: Wieso hatte Sandner sterben müssen? Schloss man eine Selbsttötung aus, wer hätte die Tat begehen und davon profitieren können? Wieder und wieder verwarf er den Verdacht, dass es Ensemblemitglieder gewesen sein könnten. Sie waren die Ersten, die unter dem Ausfall des Regisseurs zu leiden hatten. Allerdings nur, wenn es unter Sandners Regie nicht zum Fiasko gekommen wäre.
Betrachtete man die Sache von diesem Punkt aus, so war wiederum jeder aus dem Haus verdächtig. Eine einzige Produktion konnte das Überleben des Mainfrankentheaters, das ohnehin auf der Kippe stand, gefährden. Wer würde für den finalen Rettungsschuss in Frage kommen?
Marianne Endres, die ihre Kollegen der Feigheit und Untätigkeit beschuldigte?
Rainer Pohlmann, der zweite Kapellmeister, der zur Tatzeit mit Stiller über den Fortgang der Proben telefoniert haben wollte?
Sue, die Pianistin, die der Endres ein Alibi verschafft hatte? Steckten die beiden nicht nur privat unter einer Decke? Hätte die Endres tatsächlich die
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