Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
erinnern, dass die kommende und die darauf folgende Spielzeit unseres Dreispartenhauses gesichert sind.«
Nun war das Mikro wieder bei Roiber, jetzt, wo er es sich gar nicht gewünscht hatte. Die Frage musste der Reporter nicht mehr stellen, sie stand im Raum und würde über das weitere Bestehen des Theaters entscheiden.
Roiber rang um einen Ausweg. »Natürlich … lassen wir unsere Gemeinden … nicht im Stich … und schon gar nicht in diesen Zeiten … in denen Rot-Grün … die Kommunen … an den Rand … und über alle Grenzen hinaus … in die Zahlungsunfähigkeit …«
Der Reporter hatte kein Einsehen und machte klar Schiff.
»Herr Ministerpräsident, ganz konkret, was wird der Freistaat dafür tun, damit die Stadt das Defizit von zwanzig Millionen Euro bewältigen kann?«
»Die Situation ist … dramatisch … damit ist Würzburg nicht alleine … nehmen wir … vergleichbare Städte …«
»Würzburg, Herr Ministerpräsident. Was geschieht mit der Stadt?«
»Sie haben … ganz richtig … erkannt, dass … wir eine Lösung … zusammen … also gemeinsam … die Stadt und … aber zuvorderst die Stadt selbst … eine Lösung … ihrer Probleme … suchen muss … und ich bin der festen Überzeugung … lassen Sie mich das ohne Wenn und Aber feststellen … dass es ihr auch gelingen … wird.«
»Vielen Dank, Herr Ministerpräsident.«
*
Der Rummel um die Aufführung der
Dialogues des Carmelites
war längst verflogen, das Theater vom Trubel befreit, fest schlafend, einen Morgen erwartend, der einen alten Bekannten und Weltstar begrüßen würde.
Ein Schatten huschte die Wand entlang, grazil, geschmeidig, dann, in anderer Perspektive, riesig und kräftig, doch in jeder Bewegung schnell. Welches Abbild das echte war, niemand konnte es sagen.
Der Schatten machte kurz Halt im Oberen Foyer, die Straßenbeleuchtung fiel fade durch die großen Scheiben herein, dann weiter, die Treppe hinab, eine Tür, noch eine, die unverschlossen ins Gedärm des Hauses führte. Kabel, Hunderte, dick und dünn, gleich Muskelund Sehnensträngen, liefen weit verzweigt auseinander, trafen sich wieder und endeten andernorts. Es wurde eng, kaum Luft zum Atmen, kein Ort für Angsthasen.
Da war er. Der Kasten, spinnwebenverhangen, seit seinem Einbau vergessen, weggesperrt wie ein Lebenslänglicher hinter Gefängnismauern. Vier Schrauben mit Flügeln, mit Kraft gedreht, den Deckel zur Seite, das winzige Gerät platziert, angedockt, und alles wieder verschlossen.
Zurück. Die Zehen krallten sich in den Boden, zogen den Körper nach, Millimeter für Millimeter, unterstützt von den Fingerkuppen, dann Knöchel und Hände, dann Arme und schließlich wieder aufstehen. Vorsicht, nicht den Kopf stoßen. Hier würde man bis zum Jüngsten Tage unentdeckt liegen bleiben.
Im Labyrinth der Gänge. Tür auf, Tür zu, links, links, gerade, alles ohne Licht, wieder Tür, dann treppauf, einmal rechts, gerade und Tür zu. Angekommen.
Das kleine kompakte Gerät am Gürtel auf on. Das Signal reichte höchstens hundert Meter weit, das genügte, mehr war nicht nötig. Das Mikro, winzig an einem dünnen Faden, im Ärmel versteckt. Sprechprobe. Am Rädchen gedreht, es kannte kein Geschlecht, kein Alter, machte unsichtbar und präsent, finster und fröhlich, je nach Stellung des kleinen Rades und dem Willen des Sprechers.
Die Lautsprecher knackten, bereit, die Botschaft hinauszutragen, in jeden Winkel des Hauses.
Kalt und unzugänglich
gebiete ich der Liebe.
Ihr Leid will ich genießen,
Ruhm sind mir ihre Qualen.
Denn das ist das Los der Liebe:
Wo man sie abweist, wirbt sie,
wo man sie kränkt, da schwärmt sie, stirbt,
wenn man sie ermutigt, und lebt,
wenn man ihr wehtut.
6
Francesco Raimondi – der nachgeborene, Fleisch gewordene Wille Mozarts und Lorenzo da Pontes, des Librettisten. Was hätten beide gegeben, wenn sie Raimondi zur Prager Uraufführung des
Don Giovanni
am 29. Oktober 1787 gekannt hätten? Oder zur Wiener Aufführung? Hätte Raimondi die Wiener Zweifler und Nörgler mit seiner Darstellung des spanischen Edelmanns und Verführers überzeugen können? Ähnlich wie es der Figaro von Anfang an in Prag und Wien geschafft hatte?
Viele waren sich dessen sicher, nachdem sie Raimondi auf der Bühne hatten erleben dürfen. Ein Ausbund an Temperament und der Lust am Leben – wohlgemerkt nur an seinem eigenen, das der anderen verstand er hervorragend für seine Zwecke zu nutzen. Bereits in jugendlichen Jahren verfügte er über
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