Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
verbleibenden zwei Wochen helfen, den Premierentermin zu retten.«
Spontaner Applaus der Ensemblemitglieder erfüllte den Raum. Aber auch Zurückhaltung zeigte sich bei einigen, die nicht so recht wussten, ob das Engagement Raimondis wirklich ein Segen für die Produktion sein würde. Man hatte allerlei von ihm gehört, kannte seine Arbeit und wusste, dass sein Führungsstil bei den Proben keine Widerrede gelten ließ.
Raimondi trat in die Mitte des Halbkreises, wandte sich rundum, blickte beim Sprechen seinen Zuhörern immer wieder in die Augen.
»Vielen Dank für den warmherzigen Empfang. Ich werde in den nächsten zwei Wochen mit Ihnen einen
Don Giovanni
auf die Bühne bringen, den es in dieser Art noch nicht gegeben hat. Mein Interesse liegt dabei nicht in der konzertanten Auseinandersetzung mit dem Stoff, er ist uns allen bekannt, und ich gehe davon aus, dass Sie Ihren Part beherrschen. Ansonsten wären Sie nicht hier. Mein Interesse liegt stattdessen in der dramatischen Auseinandersetzung zwischen Leben und Tod, getragen von der Musik Mozarts. Ihre Leidenschaft und die der Figuren will ich offen legen. Ich werde Ihnen viel abverlangen, das weiß ich. Aber seien Sie sich gewiss, wenn Sie die Leistung erbringen, werden Sie vom Publikum auf Händen getragen. Wer dem zustimmt, ist mir willkommen.«
Raimondi wartete. Die klaren Worte zeigten Wirkung. Niemand wagte Widerworte. Selbst Kayleen hielt sich zurück. Ein Mann, Mitte vierzig, mit hellem Haar und lässig in Turnschuhen und Jeans, blickte Raimondi unverwandt an. Raimondi bemerkte es. Es dauerte zwar eine Sekunde, doch dann erinnerte er sich an ihn. Beide unterließen es, sich vor den anderen zu begrüßen.
»Gut, dann gehe ich davon aus, dass wir eine Übereinkunft erzielt haben. Vielen Dank für Ihr Vertrauen. Wir sehen uns außerplanmäßig heute schon Punkt dreizehn Uhr zur ersten Probe. Und nun verlassen Sie bitte die Bühne, damit ich meine Arbeit beginnen kann.«
Der Pulk des Ensembles löste sich zur Nullgasse hin, dem Zuund Abgang der Schauspieler während einer Aufführung, auf. Niemand sagte ein Wort, selbst das übliche Getuschel blieb aus. Raimondi hatte sie shanghait und in seine Dienste genommen.
Aus dem Zuschauerraum trat Ludewig, der Dramaturg, an die Bühne.
»Herr Raimondi, ich habe sie alle im Foyer versammelt. Wir können beginnen, wenn Sie so weit sind.«
Hinter Raimondi wurden ein Tisch und zwei Stühle aufgebaut, die Scheinwerfer auf den Stuhl ausgerichtet, wo Raimondi Platz nehmen würde.
Er rief nach oben, in die hinteren Ränge des Zuschauerraums, in die Lichtregie: »Seid ihr fertig?«
Ein Stimme über die Lautsprecher bestätigte kurz. Dann zu Ludewig: »Führen Sie sie herein. Platzieren Sie die Überregionalen in den ersten Reihen, die Lokalpresse dahinter. Danke.«
Ludewig ging. Reichenberg gesellte sich neben Raimondi. »Es bleibt alles wie abgesprochen. Kein Wort über die Hintergründe deines Engagements.«
»Sei unbesorgt. Ich mache das nicht zum ersten Mal«, erwiderte Raimondi und ging von der Bühne in die Nullgasse.
Reichenberg setzte sich indes auf einen der beiden Stühle und beobachtete, wie Ludewig die Journalisten in den Zuschauerraum führte. Einige protestierten laut, als ihnen ihre Plätze zugewiesen wurden. Von Benachteiligung und einer abgekarteten Sache, der Inszenierung eines Pressegesprächs, war die Rede. Zum Tumult kam es, als Ludewig das Fotografieren während des Pressegesprächs untersagte. In der Pressemappe, die er ihnen anschließend überreichen würde, seien alle Informationen und Bilder enthalten, die sie für ihre Berichterstattung bräuchten.
Reichenberg schritt ein, versprach den aus ganz Deutschland angereisten Pressevertretern eine wahre Sensation. Nach dem vermeintlichen Skandal um die nationalsozialistischen Umtriebe des Komponisten der Tilman-Riemenschneider-Oper, nach dem Fliegenden Holländer in der Inszenierung von Katharina Wagner, der Enkelin des heutigen Festspielleiters von Bayreuth, hatten die Journalisten guten Grund, das Versprechen ernst zu nehmen. Zudem galt es, den überraschenden Tod des Regisseurs Sandner zu hinterfragen.
Schließlich kehrte Ruhe ein. Reichenberg erhob sich im Scheinwerferlicht. »Ich begrüße Sie ganz herzlich hier im Mainfrankentheater Würzburg. Wie Sie alle wissen, ist gestern der Regisseur Fred Sandner, zu unser aller Bestürzung …«
Ein Zwischenruf bremste Reichenberg aus. »Gibt es schon Erkenntnisse über die Hintergründe der
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