Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
gekündigt haben?«
Reichenberg reagierte überraschend schnell. »Als Kündigung würde ich es nicht bezeichnen. Wir haben uns im gegenseitigen Einvernehmen getrennt.«
»Worauf sich Herr Sandner das Leben genommen hat.«
Der Reporter ging also von einer Selbsttötung aus. Etwas voreilig, wie Kilian dachte.
»Ich sehe keine zwingende logische Konsequenz aus diesem Umstand«, antwortete Reichenberg.
»Aber es trifft doch zu, dass zwischen Ihrem Gespräch mit Sandner und seinem Tod nicht viel Zeitb vergangen ist? Also kann man von einer Kündigung mit Todesfolge sprechen.«
»Unsinn«, Reichenberg geriet in die Defensive, »wir kamen lediglich überein, dass wir das Engagement auflösen. Was danach passierte, entzog sich meiner Einflussnahme. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen …«
Reichenberg hatte genug, er trat den Rückzug an. Der Reporter rief ihm hinterher: »Es war bekannt, dass Sandner labil war, Sie mussten doch damit rechnen, dass so etwas passieren könnte.«
Reichenberg schwieg und verschwand im Bühneneingang »Hast du Pia schon zurückgerufen?«, tönte Heinlein aus dem Badezimmer.
Kilian schaltete den Fernseher aus. »Nein, es hat aber auch gar keinen Sinn. Sie will einfach nicht loslassen.«
Aufgebrezelt, im neuen dunkelblauen Anzug, den Claudia für den Anlass seiner Ernennung zum Dezernatsleiter hatte anfertigen lassen, kam er ins Wohnzimmer. »Dann mach es ihr klar. Ich will heute Abend keinen Ärger.«
Kilian staunte. »Respekt. Der Herr versteht sich zu kleiden.«
Die beiden sahen nun alles andere als nach Kripobeamten aus. Vielmehr wirkten sie wie Männermodels auf den Plakaten in der Auslage eines vornehmen Herrenausstatters. Sie musterten sich beide lächelnd.
»Wenn du wüsstest, was ich für Strapazen auf mich genommen habe. Zig Anproben und Änderungen, bis er endlich so war, wie Claudia es sich gewünscht hat. Die halbe Urlaubskasse ist dafür draufgegangen.«
»Es hat sich auf jeden Fall gelohnt. So fällst du nicht mehr ganz so auf, wenn du neben mir stehst«, sagte Kilian.
Heinlein nahm die Anspielung gelassen. »Wie du siehst, bedarf es nicht viel, um zu dir aufzuschließen.«
Kilian lachte. »Und schlagfertig ist er auch geworden.«
»Gelernt ist eben gelernt«, antwortete Heinlein gelassen.
»Man muss nur ein paar Tage mit dir zusammen sein.«
»Soll das etwa heißen, dass du mich imitierst?«
Als ob Claudia mitgehört hätte, rief sie aus dem Schlafzimmer hinunter: »Schorsch, bist du fertig? Die Galerie ist für zwanzig Uhr reserviert. Wir müssen los.«
»Ja. Was ist mit dir und den Kindern?«, rief Heinlein zurück.
»Die Galerie?«, fragte Kilian.
»Im
Stachel
. Dafür geht die andere Hälfte des Urlaubs drauf. Was soll’s. Man wird ja nicht jeden Tag befördert.«
Kilian gönnte es ihm von Herzen. Für Heinlein und seine Familie war es der Ritterschlag, die Berufung auf die Klatschseiten der regionalen Hofberichterstattung, die Metamorphose vom verdreckten Grombühler Lausbuben zum Mitglied der High Society der Stadt.
»Du hast Recht«, sagte Kilian und schloss ihn in seine Arme. »Mach das Beste draus und lass dich nicht unterkriegen.«
Heinlein zeigte sich durch die spontane körperliche Nähe überrascht. Damit hatte er nicht gerechnet; dennoch, er ließ es geschehen.
»Danke«, erwiderte er. »Ich hatte schon Angst, du würdest es mir neiden.«
»Blödsinn.«
Ein Auto hielt vor der Tür und hupte kurz. Zeichen des Aufbruchs.
Claudia kam mit den Kindern, Vera und Thomas, die Treppe herunter, allesamt in Festtagsgarderobe.
»Das ist ja wie Weihnachten und Ostern auf einen Schlag, wenn man euch so ansieht«, sagte Kilian. »Gibt es was zu feiern?«
Die ironisch gemeinte Frage verfehlte ihre Wirkung nicht. Claudia, im apricotfarbenen Kostüm und mit hochgesteckten Haaren, erwiderte: »Es wurde ja wohl langsam Zeit, dass sie den Schorsch befördern. Ich hab schon gedacht, ich würde das nicht mehr erleben.«
»Das hat er auch nur Kilian zu verdanken«, moserte Thomas, weniger, weil er es seinem Vater nicht gönnte, sondern weil er sich in der unbequemen Kleidung gänzlich unbehaglich fühlte. Einen Schlips musste er tragen und sich in seinen alten Konfirmationsanzug zwängen, der bis zur letzten Naht ausgelassen und glatt gebügelt worden war.
»Du unterschätzt deinen Vater«, widersprach Kilian.
»Er hat alles aus eigener Kraft geschafft. Da musste ich nicht extra aus dem Dienst scheiden. Glaub mir, du kannst stolz auf deinen alten Herrn
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