Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
Dann:
»Auf dem zweiten.«
»Entschuldigen Sie bitte«, sagte Heinlein, »dürfte ich Ihr Taschentuch mal sehen?«
»Wie bitte?«
»Ihr Taschentuch.« Irritiert reichte sie es ihm.
Heinlein nahm es, roch daran. Es war ein süßlicher Duft mit einem Grundstoff, den er nicht zuordnen konnte, etwas Holziges vielleicht.
»Welches Parfüm benutzen Sie?«, fragte Heinlein. Kayleen stutzte. »Wieso … was wollen Sie von mir?«
»Nur einen Namen – und zwar den Ihres Parfüms. Ist das denn so schwer?«
Kayleen dachte nach. Dann: »Ich benutze Shanazar.«
»Stellen Sie das selbst her?«
Kayleen musste lachen. »Ha, das wär schön, das würde mir viel Geld sparen. Nein, ich pflege es zu kaufen.«
»Sind darin Sandelholz und Moschus enthalten?« Kayleen nahm wieder ihr Taschentuch, roch daran.
»Bestimmt. So wie in tausend anderen Parfüms auch.« Mit seinen gepackten Sachen wartete Kilian gegenüber dem Theater im
Choko Chanel
– dem Treffpunkt der Theaterleute – an einem der Tische, die am Bürgersteig aufgestellt waren, bei einem Espresso auf seinen Fahrer zum Bahnhof.
Heinlein hatte es sich nicht nehmen lassen, ihn höchstpersönlich dorthin zu bringen. Zuvor wollte er Kayleen, die Lebenspartnerin Sandners, befragen. Kilian hatte zugestimmt, wenngleich er lieber direkt zum Bahnhof gebracht worden wäre.
Ein Taxi hielt direkt vor seinem Tisch. Es entließ eine Endvierzigerin im vornehmen, rosafarbenen Kostüm, die hellbraunen Haare hinten hochgesteckt, statt der obligatorischen schwarzen Handtasche einen Aktenkoffer in der Hand, das Handy am Ohr, selbst beim Zahlen und Aussteigen. Ihr Blick wanderte an den Tischen entlang, fand den neben Kilian leer, setzte sich und bestellte einen Kaffee und ein Glas Wasser.
Während sie unbeirrt das Telefonat weiterführte, öffnete sie den Aktenkoffer, förderte einen Organizer und eine Ausgabe der
Neuen Zürcher Zeitung
zutage. Der einzige freie Termin, den sie dem Anrufer in Aussicht stellen konnte, war in vier Wochen. Es ging um ein Vorsingen an einem Theater. Alles Weitere mochte der Anrufer mit dem Regisseur besprechen. Name, Telefonnummer, am besten in den Pausen probieren, ansonsten eine Nachricht bei seiner Assistentin hinterlassen und mit ihrer Sekretärin abstimmen. Sie freue sich, ja, danke, gerne geschehen. Klick.
Die Bedienung brachte die Bestellung. »Ein Kaffee, ein Wasser.«
»Merci«, antwortete sie kurz mit schweizerischem Akzent.
Ohne Zucker und Milch hinzuzutun, führte sie die Tasse zum Mund, der sanft rötlich schimmerte. An Wangen und Hals waren keine der unvermeidlichen Spuren des Alterns zu erkennen. Respekt, die Frau hielt sich gut, obwohl Kilian nicht viel für Businessfrauen übrig hatte. Sie raubten ihm den letzten Nerv mit ihrem geschäftigen Getue.
Ihr Handy stimmte die polyphone Version eines klassischen Stücks an. Sie prüfte die Nummer auf dem Display und schickte sie weiter an die Mailbox.
Kilian lehnte sich nach vorn und blickte sie an. »Ich danke Ihnen.«
»Wie bitte?«, fragte sie, während sie das Handy und den Organizer im Aktenkoffer verstaute.
»Ich danke Ihnen, dass Sie das Gespräch nicht angenommen haben.«
Es dauerte eine Sekunde, bis sie verstand. Ein Lächeln flog ihm zu.
»Sie haben Recht. Handys sind eine Plage. Besonders, wenn man sich bei einer Tasse Kaffee entspannen will. Ich verspreche Ihnen, dass es aus bleibt, solange wie ich hier sitze.«
Kilian freute sich, wenn sich jemand zum Besseren entwickelte. »Die ganze Welt redet miteinander, doch beim Nachbarn bleibt man stumm.« Er wies mit einem Blick die Tische entlang. Drei von vieren telefonierten.
»Und Sie besitzen keines?«, fragte sie.
»Oh, doch. Leider.«
Wieder hob die Telefonmelodie an. Diesmal aus ihrem Aktenkoffer. Ihre Hand reagierte, hielt dann inne, wie versprochen. Sie lächelten einander zu.
»Sie scheinen sehr gefragt zu sein«, sagte Kilian. »Was tun Sie beruflich, wenn ich so neugierig sein darf?«
»Ich bin Intendantin eines Theaters in der Schweiz. Und Sie?«
»Ich bin … beurlaubt.«
»Sie Glücklicher. Ich habe schon seit zwei Jahren keinen einzigen Tag Urlaub mehr gehabt.«
»Was tut man so als Intendantin?«
»Ich bin sowohl künstlerische als auch wirtschaftliche Leiterin eines Dreihundertmannbetriebs. Theoretisch. Praktisch bin ich Mädchen für alles. Suche Stücke aus, lasse vorsingen und spielen, schlage mich mit der Presse herum und streite mit unseren Geldgebern über die nächste Spielzeit. Zum Inszenieren
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