Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
komme ich gar nicht mehr.«
»Was führt Sie nach Würzburg?«
»Ein Talent namens Aminta Gudjerez. Sie singt an Ihrem Stadttheater in den
Dialogues des Carmelites
.« Kilian zuckte ahnungslos mit den Achseln.
»Sie kennen Aminta Gudjerez nicht?«, fragte sie erstaunt.
Er verneinte.
Sie nahm einen Schluck Kaffee, spülte mit Wasser nach und staunte. »Ich wette, wenn es sich um einen neuen Stürmer in der Fußballmannschaft handeln würde, wüssten Sie Bescheid.«
Nun verlor sie für ihn an Attraktivität. Leicht unterkühlt meinte er: »Sie irren. Auch bei Fußball muss ich passen.«
Sie grübelte. »Weswegen sind Sie beurlaubt worden?« Kilian musste nicht lange nachdenken. »Nennen wir es die Suche nach Wahrheit.«
»In meinem Metier, auf der Bühne, meine ich, ist diese Suche zwar auch Thema, aber eigentlich dreht sich alles um den Applaus am Schluss. Ist er da, hat sich die Arbeit gelohnt. Bleibt er aus, war ich das Eintrittsgeld nicht wert.«
»Es gibt also nur hopp oder top? Keine Zwischentöne?«
»Im Grunde genommen nicht. Entweder hast du Erfolg oder du hast ihn nicht. Es ist wie im alten Rom: Ein Fingerzeig entscheidet.«
»Aber Sie werden nicht gefressen.«
Sie lachte kurz. »Doch, wenn ich es mir so überlege, irgendwie schon. Spätestens, wenn die Kritik über mich herfällt.«
»Aber es ist doch alles nur ein Spiel.«
»In Ihrer Welt, ja. In meiner ist das Spiel die Wirklichkeit. Eine mitunter grausame. Dort werden die meisten Todesurteile im Zuschauerraum gesprochen. Basisdemokratisch sozusagen. Ich nehme an, Sie müssen sich nicht täglich beweisen, zumindest nicht im Sinne von Leben oder Sterben.«
Kilian schmunzelte. Wenn sie wüsste. Er lenkte das Gespräch in seichtere Gewässer.
»Zurück zu dieser Aminta Gud…«
»Gudjerez.«
»Diese Dame ist also so gut, dass Sie extra aus Zürich anreisen.«
»Sie hat das Potenzial einer Meier oder einer de Kanawa. Wenn ich sie für die nächste Spielzeit gewinnen kann, dann sollte ich mit meinem Verwaltungsrat und den Sponsoren keine Probleme mehr haben. Es geht um viel Geld … und um unsere Zukunft. Alle wollen in diesen Tagen Stars sehen. Gut ist einfach nicht mehr gut genug.«
Sie blickte auf die sündhaft teure Uhr, feinste Schweizer Handarbeit, und erschrak. »Ich habe die Zeit vergessen. Entschuldigen Sie, ich muss los.«
»Wollen Sie ins Theater?«
Sie nickte, kramte nach Kleingeld.
»Darum kümmere ich mich. Ich werde Sie die paar Schritte begleiten«, sagte Kilian.
Heinleins Befragung dauerte ihm nun doch zu lange. Er bat die Kellnerin, sein Gepäck in einem Nebenraum des Lokals zu deponieren, und bezahlte die Rechnung, wobei er mit dem Trinkgeld großzügig war. Dann überquerten sie gemeinsam die Straße. Der Pförtner am Bühneneingang wies sie an, in den zweiten Stock zu gehen, Amintas Manager, Paul Batricio, erwarte sie bereits.
»Vielen Dank für den Kaffee«, bedankte sie sich und reichte Kilian die feingliedrige Hand. Kein Trauring.
»Gern geschehen. Unser Gespräch war sehr interessant. Vielleicht können wir es eines Tages fortführen.« Sie lächelte, gab ihm ihre Visitenkarte. Isabella Garibaldi, Intendantin, Zürich, eine Reihe von Telefonnummern.
»Das würde mich sehr freuen«, sagte sie und verschwand hinter der Glastür.
Der Pförtner verfolgte auf einem kleinen Fernseher neben der Fensterscheibe eine Sportübertragung.
»Wo finde ich Kriminalhauptkommissar Heinlein?«, fragte Kilian.
»Zweite Tür rechts«, antwortete der Pförtner und wies ihm den Weg.
Kilian bog um die Ecke und sah Isabella Garibaldi vor dem Aufzug warten. Sie nutzte offensichtlich jede Sekunde ihrer Zeit, denn sie telefonierte schon wieder. Er lächelte ihr zu, sie erwiderte es. Bevor er den Besprechungsraum erreichte, in dem er Heinlein finden sollte, öffnete sich am Ende des Gangs der Bühnenzugang. Ein Mann mit schulterlangen, grau melierten Haaren trat heraus, ganz in schwarzes Leder gehüllt. Es war derselbe, den Kilian abends zuvor im
Stachel
gesehen hatte.
Jetzt hielt er auf einen anderen Mann zu, der zwischen Isabella Garibaldi und Kilian an der Wand gelehnt wartete. Er las in einer Ausgabe der
Frankfurter Allgemeinen.
Der Schwarzlederne summte etwas, Kilian konnte es nicht genau verstehen, dazwischen mischten sich im feinsten Schwyzerdütsch Anweisungen, die Isabella Garibaldi ihrem Gesprächspartner gab.
Nur ein Wort,
Poverina
, zweimal wiederholt, konnte Kilian von ihm verstehen. Er meinte offensichtlich die Frau,
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