Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
war, auf die Verdächtigen.
Alle Frauen trugen einen Schleier oder einen Schal, der ihr Gesicht, wie Edik es beschrieben hatte, verdecken sollte. Nun war es an ihm, Heinlein den ersten Fahndungserfolg im Amt als neuer Dezernatsleiter zu bescheren.
Heinleins Herz pochte voller Erwartung, als er Edik anhielt, sich alle Zeit der Welt zu nehmen, um sich die einzelnen Personen in Ruhe anzuschauen und diejenige auszuwählen, der er die,38er verkauft hatte.
Doch Ediks Gedächtnis funktionierte überraschend schnell und gut.
»Nein«, sagte er. »Es ist keine von denen.«
»Lass dir Zeit«, beschwor ihn Heinlein.
»Ich weiß, aber unter denen ist sie nicht.«
»Sollen sie vielleicht den Schal abnehmen, damit du ihr Gesicht besser sehen kannst?«
»Meinetwegen.«
Heinlein ergriff das Mikrophon und ordnete an, den Schleier zu lüften.
Ediks Blick ging abermals über die Gesichter.
»Nein.«
Heinlein wollte nicht so schnell aufgeben. »Sollen wir mehr Licht machen oder …«
»Ich will ihre Hände sehen.«
Heinlein stutzte, gab dann die Anweisung weiter. Alle Frauen hoben die Hände.
Edik schaute genau hin. »Sie sollen die Hände bewegen, so, als würden sie Flamenco tanzen.«
»Wieso das?«, fragte Heinlein verblüfft.
»Ich weiß nicht mehr genau, aber da war etwas mit ihren Händen. Sie waren sehr schön, bewegten sich weich, fast schon sexy.«
Heinlein nickte unwissend.
Edik schaute sich die mehr oder weniger grazilen Handbewegungen der Frauen an. Doch die Gesuchte schien nicht unter ihnen zu sein.
»Nein, alter Mann. Zero points. Die Braut, die Sie suchen, ist nicht darunter. Außerdem war da noch etwas … Erst jetzt fällt mir das ein.«
»Was ist es? Komm, sag schon.«
*
Die beiden gingen schnell. Die Garibaldi voraus, Richtung Oberer Markt. Batricio ihr hinterher, unablässig auf sie einredend. Worum es genau ging, konnte Kilian auf die Entfernung nicht verstehen. Aus dem Verhalten Batricios schloss er, dass jener etwas von ihr wollte, sie jedoch nicht bereit war, darauf einzugehen.
Auf Höhe des Barossi, eines italienischen Stehcafés, gab Batricio auf und ließ sie ziehen. Sie eilte weiter, bog am Oberen Markt auf den Kürschnerhof ein und setzte sich wenig später an einen der Tische vor dem Café am Dom.
Kilian ging auf sie zu. »Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?«
Die Garibaldi war nicht begeistert. »Was wollen Sie denn von mir?« Sie steckte sich eine Zigarette an, bestellte einen Cognac.
»So früh am Tag Alkohol?«, fragte Kilian.
»Ich kann ihn gebrauchen«, antwortete sie. Schließlich hatte sie ein Einsehen, da Kilian noch immer vor ihr stand.
»Setzen Sie sich endlich. Die Leute werden schon auf uns aufmerksam.«
Kilian setzte sich so, dass er sowohl in Richtung des Kürschnerhofes als auch die lange Domstraße hinunterblicken konnte. Er hatte das seltsame Gefühl, dass Batricio nur eine Pause eingelegt hatte.
»Also, was wollen Sie von mir, Herr Kommissar?«, fragte sie mit Sarkasmus in der Stimme, was wie eine Drohung klang.
»Ich habe Sie zufällig mit Herrn Batricio, Ihrem Geschäftsfreund, gesehen. Er schien nicht glücklich zu sein.«
»Seit wann interessieren Sie sich für das Glück anderer Menschen?«
»Sie wissen, was ich meine.«
Isabella Garibaldi hielt inne, sammelte ihre Gedanken.
»Paul hat ein ehernes Gesetz in unserer Branche gebrochen.«
»Und Sie wollen ihm nicht verzeihen?«
»Da gibt es nichts zu verzeihen, sondern nur, zu dem zu stehen, was abgemacht war.«
»Sie meinen Aminta Gudjerez?« Die Garibaldi nickte.
»Will sie nun doch nicht in Zürich singen?« Sie schüttelte verlegen den Kopf.
»Wo dann?«
Sie hob ahnungslos die Schultern.
»Ich dachte, Sie hatten einen Vertrag mit Herrn Batricio und er mit Aminta.«
»Eben, das dachte ich auch.«
»Müssen nicht Sänger einen Vertrag über eine oder mehrere Spielzeiten abschließen? Wenn ja, dann muss sie sich beeilen, die Sommerpause ist bald.«
Die Garibaldi zog an der Zigarette und stieß den Rauch aus, als sei er Gift. »Ich kann mir schon vorstellen, wer dahinter steckt.«
Nicht nur du, dachte Kilian. Wenn sie nur geahnt hätte, was er über die Nacht nach der Feier im Rathaus wusste, dann konnte sie getrost die Heimreise antreten.
»Was wollen Sie jetzt unternehmen?«
»Paul muss etwas tun, sonst ist er geliefert. Dafür werde ich sorgen. Ohne die Gudjerez fahr ich nicht nach Zürich zurück, das kommt nicht in Frage.«
»Und wenn es Batricio nicht schafft, Aminta
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