Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall
umzustimmen?«
Die Garibaldi schwieg. Ihr Blick verriet, dass es dann eine Angelegenheit für die Anwälte sein würde. Den Regress würde sich Batricio nicht leisten können. Batricio war ein Fall für den Gerichtsvollzieher. Fragte sich nur, ob er das einfach abwarten oder zuvor doch noch handeln wollte.
Kilian dachte an Aminta und den wütenden Batricio. Er war sich sicher, dass die Garibaldi jetzt nicht mehr in Gefahr war.
19
Kilian hatte dieses beklemmende Gefühl in der Magengegend. Es überfiel ihn jedes Mal, wenn er glaubte, einen Fehler gemacht zu haben. Nicht die Garibaldi war in Gefahr, sondern Aminta. Er musste sich beeilen, rannte den ganzen Weg zurück zum Theater. Der Pförtner nannte ihm die Nummer und das Stockwerk, in dem Aminta Gudjerez ihr Zimmer hatte.
Als er auf den Gang hinaustrat, hörte er bereits ihr Wimmern. Eine Frau stand im Türrahmen, sah ihn kommen, erkannte ihn.
»Sie ist hier drin«, sagte sie.
Aminta saß an ihrem Garderobentisch, den hell beleuchteten Spiegel vor sich. Sie hielt den Kopf gesenkt, sodass ihn ihre langen dunklen Haare bedeckten. Neben ihr eine Frau, die ihr beruhigend zusprach. Als Aminta aufblickte, erkannte sie Kilian im Spiegel. Sie sah verheult aus. Die linke Gesichtshälfte war aufgeschwollen, das Auge war nahezu darunter verschwunden, die Lippe blutig aufgerissen.
»Das Schwein gehört eingesperrt«, sagte die Frau neben Aminta.
Kilian reagierte nicht darauf, er stimmte ihr stumm zu. Dann bat er die beiden Frauen, ihn mit Aminta allein zu lassen. Er setzte sich neben sie auf einen Stuhl, berührte sie vorsichtig an der Wange und drehte ihren schwer gezeichneten Kopf zu sich, sodass er sich Batricios Werk betrachten konnte.
»Wie geht es Ihnen?«
Sie antwortete schwerfällig, wie nach einem Zahnarztbesuch. »So habe ich ihn noch nie erlebt. Er war außer sich. Beschimpfte mich als Hure, Schlampe, die sich jedem Gigolo an den Hals wirft.«
»Woher wusste er von Ihnen und Raimondi?«
Sie zögerte. Dann: »Ich habe es ihm gesagt, nachdem er mich dazu zwang. Er hat es geahnt.«
»Haben Sie und Batricio eine Beziehung?«
»Als ich noch auf der Musikhochschule war. Aber seit ich am Mainfrankentheater singe, habe ich Schluss gemacht. Er war nicht begeistert, behauptete, Rechte zu haben.«
»Ging es darum in Ihrem Streit?«
»Zuletzt schon. Zuvor stritten wir heftig über meine berufliche Karriere.«
»Sie meinen Zürich?«
»Nein, das habe ich bereits abgesagt. Francesco wird mich zukünftig managen. Er hat die richtigen Verbindungen, den Namen, der zählt.«
»Haben Sie nicht einen Vertrag, der sie an Batricio bindet?«
»Ja, den habe ich ihm aber aufgekündigt.«
»Isabella Garibaldi erzählte mir, dass sie eine Zusage über Ihr Engagement in Zürich hätte. Andernfalls wolle sie Batricio verklagen.«
»Sie hat vielleicht die Zusage von Paul, aber ich wollte noch Bedenkzeit. Es ist sein Problem, nicht meines.«
Kilian beließ es dabei. Stattdessen fragte er sich, wie sie die Premiere in drei Tagen singen wollte. So, wie sie jetzt aussah, würde sie kein noch so versierter Maskenbildner schminken können, um ihr den Auftritt zu ermöglichen.
»Wissen Sie, wo sich Batricio aufhält?«
Aminta verneinte. »Er schwor, dass er mir und Francesco die Premiere des
Don Giovanni
gründlich vermiesen würde.«
»Glauben Sie ihm das?«
Aminta stöhnte, strich wütend die Haare aus dem Gesicht. »Schauen Sie mich doch an!«
*
»Rispettate«, sagte Franziska. »Die Betonung liegt auf der dritten Silbe. ›Rispet-ta-te‹. Noch einmal, bitte.«
Sie saß am Klavier, das zu den Proben normalerweise der Arbeitsplatz von Sue war. In der großen Mittagspause jedoch hatte Franziska mit Takahashi im Orchestergraben Platz genommen. Er stand neben dem Klavier, schaute auf ein handgeschriebenes Notenblatt und unterstrich die Silbe, damit er den Fehler nicht noch einmal begehen würde.
Franziska spielte das Eingangsthema der Arie an. Ihre schlanken Finger gingen behutsam und dann wieder forsch über die Tasten, so wie es die Noten verlangten. Sie hatte die Augen geschlossen, spielte die Melodie frei. Ein sanftes Nicken, synchron zu ihrem wiegenden Oberkörper im Takt der Musik, zeigte Takahashi seinen Einsatz.
Diesmal klappte es. Das Rispettate erklang eindringlich aus seiner Kehle. Es hatte den Charakter einer flammenden Anklage, zum Teil gesprochen, dann wieder gesungen. Das Stück verlangte Takahashi sein ganzes Können ab. Neben dem Grundthema, das
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