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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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und
meinen Freund in deinem Haus willkommen heißen?«
    Widerwillig trat die Frau zur Seite. Halblaut murmelte sie dabei vor
sich hin: »All die Mühe für das Essen für einen Pakeha. Wenn ich das geahnt
hätte …«
    Â»Mama!« Paikea war jetzt wirklich aufgebracht. »Den größten Teil des
Essens habe ich gemacht. Hör sofort auf, Boshaftigkeiten von dir zu geben!«
    John ging durch einen schmalen Flur in ein vollgestopftes
Wohnzimmer. Bilder von den Kindern in allen Lebensaltern bedeckten die eine
Wand, eine weitere wurde durch eine dunkle Schnitzerei beherrscht. Mitten im
Raum stand der große Esstisch, der ihm in dieser Sekunde ein wenig wie ein Gerichtstisch
vorkam. Hier würde Paikeas Familie über ihn urteilen – und er hatte den
Verdacht, dass alle Indizien gegen ihn sprachen. Fünf Augenpaare sahen ihm
neugierig entgegen. Einen Augenblick herrschte Schweigen, dann erklärte die
Jüngste: »Du hast gar nichts davon gesagt, dass er ein Pakeha ist!«
    Â»Weil es nicht wichtig ist«, fauchte Paikea. Sie musste jetzt auch
merken, dass die Sache mit der Einladung in ihre Familie nicht zu ihren besten
Ideen zählte. »Ich wollte nur, dass wir einen netten Abend miteinander
verbringen, das ist alles!«
    Paikeas Mutter kam aus der Küche, knallte eine Platte mit dampfenden
Muscheln auf den Tisch und murmelte etwas wie: »Schweigt jetzt, Kinder. Am
besten bringen wir es schnell hinter uns.«
    Â»Guten Appetit«, versuchte John sich mit ein wenig Höflichkeit.
Keiner reagierte – bis auf Paikea, die ihm zunickte. Er sah kleine
Schweißtröpfchen auf ihrer Oberlippe. Ganz offensichtlich hatte sie mit einem
so groben Empfang durch ihre Familie keine Sekunde gerechnet.
    Â»Er wandert demnächst in die USA
aus«, begann sie mit bemüht fröhlicher Stimme ein Gespräch. Der Rest der
Familie kaute unbeteiligt weiter auf den Muscheln herum, tunkte Weißbrot in den
hellen Sud, in dem die Muscheln gekocht worden waren, und hielt den Blick fest
auf die Teller vor sich gerichtet. »Und vorher hat er lange in Auckland gelebt,
genauso wie ich.« John suchte den Blickkontakt mit Paikea und schüttelte kaum
merklich den Kopf. Sie musste sich nicht verzweifelt um ein Gespräch bemühen,
wenn außer ihr keiner reden wollte.
    Erst als Paikea die Teller mit den Muschelschalen heraustrug,
blickte ihre Mutter auf. »Wir haben kein Land, in das wir einfach so gehen
können«, erklärte sie. »Das Land unserer Vorväter haben sich deine Leute
genommen, wir sitzen jetzt hier fest und müssen mit eurer falschen, weißen
Lebensweise zurechtkommen. Immer nur Geld, Geld, Geld – als ob es nichts
Wichtigeres auf dieser Welt geben würde.«
    Â»Nun, Sie sitzen nicht wirklich fest – Sie können ja auch in die USA. Und sind dort genauso fremd, wie ich es sein werde,
wenn ich von Bord des Schiffes steige.« Er konnte nicht anders – wenigstens ein
bisschen wollte er widersprechen.
    Zu viel für Paikeas Mutter. Sie hob den Kopf und musterte John aus
merkwürdig glitzernden Augen. »Wenn wir unser Land verlassen, dann lassen wir
unsere Wurzeln hinter uns. Du bist der Abkömmling von Menschen, die ihre Heimat
mit einem Lächeln hinter sich gelassen haben, du kannst also nicht wissen, wie
es ist, wenn man mit dem Wind, den Felsen und dem Meer eine Einheit bildet.«
    Seinen Blick fest auf den Tisch gerichtet, konnte John sich nicht
mehr beherrschen. »Ein Lächeln auf den Lippen? Wer hat Ihnen denn solchen
Unsinn erzählt? Die Auswanderer hatten Tränen in den Augen, allesamt. Sie sind
gekommen, weil sie in ihrer Heimat nichts mehr zu erwarten hatten außer dem
Tod. Sie hatten Hunger, sie wurden verfolgt, sie hatten allesamt keine Zukunft
bei sich zu Hause, sie hatten keine Wahl. Was bringt Sie auf die Idee, dass
alle Schotten, Iren, Deutschen, Franzosen mit Begeisterung von Europa ins
Unbekannte gestartet sind? Außerdem – wenn ich das richtig sehe, dann hat Ihr
Volk tausend Jahre zuvor genauso seine Heimat verlassen und sich lässig auf
einen Wal geschwungen, um neue Ufer zu finden. Oder nicht?«
    Die Alte wurde jetzt erst wirklich wütend. »Wir haben ein Paradies
gefunden, in dem noch niemand wohnte, das nur darauf wartete, von uns in Besitz
genommen zu werden. Wir mussten es niemand wegnehmen!«
    Â»Das sah der Moa sicher anders«, versuchte John einen

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