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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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kleinen
Scherz, um die Situation wenigstens ein bisschen zu entspannen. Der Riesenvogel
war von den ersten Maori in Rekordtempo ausgerottet worden, weil er sich so
leicht jagen ließ.
    Â»Das ist doch Blödsinn. Man kann doch uns Maori nicht mit dem Moa
vergleichen. Aber ihr habt uns bekämpft, unser Land gestohlen …« Die Stimme von
Paikeas Mutter überschlug sich fast. Ihre Kinder sahen sie jetzt mit großen
Augen an, die Jüngste regelrecht ängstlich.
    Â»Ich hole jetzt die Langusten«, unterbrach Paikea ihre Mutter, als
die einmal Luft holte. Sie war schon halb aufgestanden, als sie angefahren
wurde.
    Â»Untersteh dich, für diesen Abschaum auch nur irgendetwas aus
unserer Küche zu holen. Er ist mir nicht willkommen an unserem Tisch.« Damit
stand sie auf und verließ den Raum. Ihre Kinder, Paikea eingeschlossen, sahen
ihr verwirrt hinterher.
    Â»Ich weiß, dass sie keine Pakeha mag – aber ich ahnte nicht, wie
hässlich sie dabei sein kann«, murmelte sie. »Ich hoffe, du kannst mir
verzeihen. Mein Plan, dir eine wunderbare Familie zu zeigen …« Sie brach mitten
im Satz ab. Ihr ältester Bruder stand auf, nahm seinen Teller.
    Â»Ich kann mich Mutter nur anschließen. Wie kannst du so gedankenlos
sein und einen Weißen hierher bringen? Seitdem du in Auckland warst, hast du
einfach jedes Maß verloren von dem, was sich gehört und was nicht. Du bist kein
Teil mehr von uns – und das haben wir alle heute Abend gelernt.« Damit drehte
er sich um und verschwand hinter seiner Mutter im Nachbarraum. Paikea war mit
einem Schlag bleich unter ihrem dunklen Teint. »Das kannst du doch nicht ernst
meinen …«, murmelte sie und sah ihren drei verbliebenen Geschwistern ins
Gesicht. »Findet ihr das auch?«
    Alle drei nickten, ohne ein Wort zu sagen. John spürte, wie Paikea
unter dem Tisch ihre Hand auf seinen Oberschenkel legte und ihn leicht
streichelte. Sie schien einen Moment nachzudenken, dann räusperte sie sich.
»Dann ist es wohl an der Zeit, dass ich mein Geld, das ich bei den bösen Pakeha
verdiene, endlich nicht mehr für euch, sondern für mich ausgebe. Wenn ihr das
alle so seht, dann muss ich mir wohl eine eigene Wohnung kaufen. Eine Wohnung,
in der sich niemand dafür interessiert, mit wem ich mich treffe. Für heute
Abend lasse ich euch allein mit dem Essen, das ich gefangen und das ich gekocht
habe. Ich hoffe, es bleibt euch im Halse stecken.« Damit stand sie auf und
griff nach Johns Hand. »Komm, wir gehen. Jede Fish-and-Chips-Bude kann nur
gastlicher sein als meine eigene Familie.«
    Er ließ sich von ihr aus dem engen Wohnzimmer und auf die Straße
führen. Sie drehte sich das erste Mal zu ihm um, als sie schon einige Hundert
Meter von ihrem Elternhaus entfernt waren. Zu seiner Bestürzung sah er, wie ihr
die Tränen in Strömen über das Gesicht liefen. »Es tut mir so leid«, schluchzte
sie. »Ich wusste, dass meine Mutter nichts von Weißen hält. Sie gibt euch allen
die Schuld daran, dass mein Vater angefangen hat zu trinken.«
    Â»Wo war er denn heute Abend? Wäre er vielleicht ein bisschen weniger
hart zu dir gewesen?«, fragte John unsicher.
    Sie lachte leise. »Nein. Das Leben im Knast macht nicht gerade einen
besseren Menschen aus einem Säufer. Mein Vater ist derjenige, der zuerst die
Idee hatte, dass an allem nur die Pakeha die Schuld tragen. Als ob es bei
meinem Volk in Ordnung gewesen wäre, einem anderen den Schädel einzuschlagen.«
    Â»Dein Vater hat doch nicht etwa …«
    Â»Doch.« Sie schluchzte noch heftiger. »Der Idiot hat gesoffen und
einem Kumpel, der neben ihm am Tresen stand und eine andere Meinung in Sachen
All Blacks hatte, ein Bierglas über den Schädel gezogen. Leider ist mein Vater
ein sehr starker Mann … Aber das ist Jahre her. Wir leben eigentlich sehr
zufrieden, meine Mutter schimpft hin und wieder über die Ungerechtigkeiten des
Lebens, und damit ist alles gut. Ich wusste nicht, wie groß ihr Hass auf dein Volk ist –
bis heute Abend.«
    Â»Mein Volk trifft die Sache nicht ganz«, murmelte John. »Wir sind
Schotten und Deutsche, Iren und Italiener …«
    Â»Das weiß ich doch«, unterbrach ihn Paikea ungeduldig. »Aber für sie
– und wahrscheinlich den Rest meiner Geschwister auch – seid ihr einfach alle
ein Volk. Die, die in unser Land gekommen sind

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