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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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Rücken eines Wales
über das Meer nach Neuseeland gekommen … Das muss doch eine Verpflichtung sein,
oder?«
    Â»Verpflichtung zu was?« John war etwas verwundert.
    Â»Wir sollten sie vielleicht nicht einfach abschlachten. Nicht diese
hier – Killerwale werden von uns Menschen nicht gejagt. Aber weiter draußen die
Pottwale, die Glattwale, die Minkwale … Sie werden seit der Ankunft der Pakeha
in Mengen abgeschlachtet. Bald gibt es keine mehr. Dann werden die Meere leer
und traurig. Keiner mehr, der meinen Gesängen lauscht. Keiner mehr, der singt.«
Sie wirkte ernsthaft betrübt, als sie über die Wale redete.
    Â»Habt ihr Maori denn nicht auch Wale gejagt?«, wollte John wissen.
Er musste sich eingestehen, dass er wenig Ahnung vom Walfang hatte. Neuseeland
war anfangs von Robben- und Walfängern besiedelt worden, die hatten hier wohl
eine Art Paradies vorgefunden. Mal abgesehen von der Tatsache, dass sie dafür
auf jede Bequemlichkeit verzichten und Frauen mit verwegenen Versprechen, die
sie meistens nicht halten konnten, nach Neuseeland locken mussten.
    Â»Ja, kein Ruhmesblatt in unserer Geschichte, wenn du mich fragst«,
meinte Paikea. »Aber wir hatten keine großen Schiffe und haben uns nur einzelne
Tiere holen können. Von denen wurde dann wirklich alles verwertet. Das haben
die Weißen zwar meistens auch so gehalten. Allerdings in sehr viel größerem
Maßstab. Komm, ich zeige dir etwas.«
    Damit nahm sie ihn an der Hand, als sei es das Selbstverständlichste
der Welt, und führte ihn wieder in Richtung Kaikoura. Direkt nach den schroffen
Felsen, in denen sie sich getroffen hatten, deutete sie auf ein großes, flaches
Viereck, auf dem noch die Fundamente einer Halle zu erkennen waren. John
erinnerte sich, dass er kurz zuvor achtlos an dieser Ruine vorübergegangen war.
    Â»Hier wurden früher Wale verarbeitet«, erklärte sie. »Die Schienen
dienten dazu, die Riesen von den Schiffen an Land zu bringen. Hier wurde dann
der Tran gekocht und in riesige Fässer gefüllt. Das Fischbein wurde gesäubert
und für die Korsetts der feinen Damen nach Europa geschickt, das Fleisch in
Dosen gefüllt und verkauft. Von den Walen blieb nicht viel übrig … Aber so eine
Fabrik konnte einfach Unmengen von Walen verarbeiten – und die Schiffe brachten
genug Nachschub. Damals waren die Gewässer rings um Neuseeland noch voll von
singenden, springenden und miteinander redenden Walen. Das Paradies.«
    Â»Wann wurde diese Fabrik aufgegeben?« John sah sich neugierig um.
    Paikea zuckte mit den Achseln. »Ich denke, das war irgendwann in den
Zwanzigerjahren. Damals hat sich der Walfang allmählich immer weniger gelohnt.
Die Männer mussten zu lange zur See fahren, um endlich mit einem Fang
zurückzukehren … Geduld ist noch nie Sache der Männer gewesen.« Sie sagte das
in einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ.
    John musste lachen. »Männer haben keine Geduld und schlagen gerne
Wale tot? Du hast eine merkwürdige Vorstellung von uns.«
    Â»Wenn du wüsstest, was ich schon erlebt habe. Ich habe jahrelang in
Auckland gelebt und dabei gesehen, wie der Abschaum der Welt aussieht.« Sie
schnaubte vor Empörung. Heimlich dachte John sich, dass er in ihrer Erinnerung
sicher keinen Ehrenplatz einnahm. Er konnte wirklich nur hoffen, dass sie ihn
niemals erkennen würde.
    Â»Warum bist du hierher zurückgekommen?«, wollte er wissen.
    Sie musterte ihn einen Moment lang kritisch. »Du willst viel wissen
für einen Mann, der schon bald das Land verlässt«, stellte sie fest. Dann
zuckte sie mit den Achseln. »Ich habe gespürt, wie ich meine Wurzeln verloren
habe. Es wurde Zeit, wieder zu meiner Familie zu gehen. Seitdem versuche ich,
hier in Kaikoura ein Auskommen zu finden. Schwierig, denn die meisten Wale sind
verschwunden, selbst die hartnäckigsten Walfänger geben allmählich auf, und das
Städtchen sucht nach einer neuen Einkommensquelle.«
    Â»Es gibt wirklich nur die Wale?«
    Â»Schafe und Ziegen auf den Weiden, Langusten im Meer … daher kommt
überhaupt der Name – Kaikoura bedeutet so viel wie Langustenmahl. Die Dinger
sorgen wenigstens dafür, dass wir sehr häufig ein Festmahl haben, noch dazu
ganz kostenlos. Jeder, der ein bisschen tauchen kann, holt sich hier direkt vor
der Küste sein Abendessen aus dem Meer. Dazu ein paar Muscheln,

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