Der Gesang der Maori
weiterhelfen können. Aber ich bin auf
der Suche nach einer Krankenschwester, die irgendwo in Berlin Ende der DreiÃigerjahre
gearbeitet hat. Waren Sie vielleicht �« Er sah sie fragend an.
Ein Lächeln machte sich auf dem strengen Gesicht der Frau breit. Von
einem Augenblick zum anderen wirkte sie mütterlich. »Ich bin hier seit der
Gründung des Martin-Luther 1931. Bis auf wenige Kriegsmonate war ich
immer hier, aber ich glaube, ich kenne fast jeden, der hier gearbeitet hat. Wen
suchen Sie?«
John sah die Frau fast so überrascht an, als ob er hier mitten in
Berlin einen tanzenden Maori getroffen hätte. Konnte es so plötzlich so einfach
sein? Vorsichtig stellte er seine Frage. »Ihr Name ist Eva Erhardt â¦Â«
Er musste nicht weiterreden. Sein Gegenüber lachte. »So heiÃt sie
schon lange nicht mehr! Aber ich erinnere mich, dass Eva am Anfang noch Erhardt
als Mädchenname hatte!«
»Und â wie heiÃt sie jetzt? Wie geht es ihr?« Die Aufregung lieà ihm
fast die Stimme versagen.
»Gut. Sie lebt keine zehn Minuten von hier entfernt. Mit der Arbeit
hat sie allerdings aufgehört, um sich ganz um den Haushalt und ihren Mann zu
kümmern. Den hat sie hier kennengelernt.« Sie sah auf die Uhr. »Er wird im Lauf
der nächsten zwanzig Minuten hier vorbeikommen. Dr. Gehrling. Ein bezaubernder
Mann, er leitet die Innere Abteilung in unserem Haus und ist wirklich das Herz
dieser Abteilung ⦠Eva hatte Glück, dass sie so einen wunderbaren Mann gefunden
hat.«
»Sie ist verheiratet?« John sah die Frau fassungslos an. In seiner
Phantasie hatte seine Mutter immer einfach nur darauf gewartet, dass ihr Sohn
sie endlich finden würde. Und jetzt musste er erfahren, dass sie wieder
geheiratet hatte. Hatte sie ihn und seinen Vater so einfach vergessen?
»Sicher«, klärte sie ihn mit gleichbleibend freundlicher Miene auf.
»Inzwischen sind es bald fünfzehn Jahre ⦠ich glaube, das war 1939.
Oder vielleicht schon 1938? So ein schönes Paar ⦠wir Schwestern
haben alle zusammen mit ihnen gefeiert. Im Garten, bei Wein und Kuchen.«
Plötzlich musterte sie ihn etwas genauer. Auf ihrem Gesicht tauchte so etwas
wie Misstrauen auf. »Darf ich Sie fragen, was Sie eigentlich von unserer Eva
wollen?«
»Ach«, winkte John ab. »Sie ist nur eine entfernte Verwandte, von
der meine Familie nichts mehr gehört hat, seit sie nach Berlin gegangen ist.
Als ich erzählt habe, dass ich nach Berlin komme, da hat mich meine Familie
gebeten, doch auch nach Ava, ich meine Eva, zu suchen.«
»Und keiner wusste etwas von Evas Hochzeit?« Die Frau legte ihre
Stirn in Falten. »Das sieht Eva so ganz und gar unähnlich. Sie ist so eine
nette Frau. Ein bisschen still vielleicht, sie erzählt nicht viel von sich.
Aber so nett.«
Ein älterer Mann drängelte sich neben John. »Ich suche meine Frau,
Marliese Mettern. Sie muss auf der Gynäkologischen liegen!«, erklärte er.
Johns Gesprächspartnerin ging routiniert ein paar Listen durch, sah
dann kurz auf die Uhr und schüttelte bedauernd den Kopf. »Die Besuchszeit ist
leider schon vorbei. Aber wenn Sie morgen früh um acht Uhr vorbeikommen, finden
Sie Ihre Frau auf Zimmer 362.«
Der Mann sah sie fassungslos an. »Und jetzt darf ich nicht zu ihr?
Aber ich muss doch tagsüber arbeiten!«
»Da können wir Ihnen nicht helfen!« Jetzt sah sie wieder so streng
aus wie noch vor ein paar Minuten, als John sie das erste Mal angesprochen
hatte. Der Mann wirkte mit einem Mal älter, als er mit hängenden Schultern
zurück auf die StraÃe ging.
Noch bevor John der Empfangsdame weitere Fragen stellen konnte, kam
ein kräftiger, leicht gedrungener Mann mit dickem braunem Haar und einem
Vollbart die Treppe herunter. Er winkte, rief »Schönen Abend noch!« und war
durch die Tür, bevor John auch nur die Gelegenheit hatte, ihn etwas zu fragen.
Er sah fragend die Frau am Empfang an. »Das ist Dr. Gehrling?«
»Ja, Sie sollten ihn wirklich â¦Â«
Aber John hörte den Rest des Satzes nicht mehr. Er stürzte durch die
Tür und folgte ihm. Er wollte wenigstens herausfinden, wo Ava-Eva heute lebte â
auch wenn er noch keine Ahnung hatte, was er dann tun wollte. Einfach klingeln
und sich vorstellen? »Guten Tag, Sie haben vielleicht nie von mir gehört, aber
ich bin der Sohn Ihrer
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