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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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Frau!«
    Nein, das konnte er nicht tun. Er ahnte, dass seine Mutter niemandem
von ihrer neuseeländischen Vergangenheit erzählt hatte. Da durfte doch nicht
ausgerechnet er, der Sohn, ihr Leben schon wieder auf den Kopf stellen! Oder
freute sie sich womöglich, wenn er plötzlich vor ihr stand? Seine Gedanken
drehten sich wie ein Karussell, als Gehrling in einer Nebenstraße vor einem kleinen
Häuschen anhielt, einen Schlüssel aus seiner Jackentasche zog und aufschloss.
John blieb regungslos stehen, als die Tür hinter dem kräftigen Mann ins Schloss
fiel. Für ihn klang es so, als ob eine Tür in seinem Leben plötzlich wieder mit
einem scharfen Ton zugeworfen würde. Und zwar dieses Mal endgültig und für
immer.
    Nachdenklich drehte er sich um. Merkte sich die Adresse und fing an,
ziellos durch die Straßen zu laufen. Irgendwann ging er in eine Kneipe, schlang
ein paar kalte Buletten mit viel zu scharfem Senf herunter und spürte, wie ihm
das Denken mit dem Bier noch schwerer fiel. Als ihn der Mann hinter dem Tresen
wegen irgendetwas in ein Gespräch verwickeln wollte – wenn John das richtig
verstand, ging es wohl um Fußball –, winkte er ab. Er wollte kein Gespräch, sondern
nur noch ein weiteres Bier. So lange, bis er nicht mehr in der Lage war, noch
eins zu bestellen.
    Irgendwann stand er auf, lief weiter, bis er einen kleinen Park
erreichte, und ließ sich einfach auf eine der Bänke fallen. Er stierte vor sich
hin und versuchte, in seinem Alkoholnebel einen klaren Gedanken zu fassen. Wie
sollte seine Zukunft nur aussehen, welches Ziel blieb ihm noch? Der Schlaf
musste ihn übermannt haben, denn als er am nächsten Morgen aufwachte, fror er
erbärmlich. Von der nahe gelegenen Straße tönten Motoren und Hupen zu ihm herüber,
und ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Das schöne Wetter der letzten
Tage war vorbei. Ebenso wie seine Hoffnung auf ein neues Leben in Deutschland.
Außerdem hatte er Kopfschmerzen.
    Er machte sich auf den Weg zurück zu der Adresse der Gehrlings.
Unauffällig stellte er sich in der Nähe unter einen Baum und beobachtete die
Haustür. Zuerst erschien der Arzt, der sich mit einem Regenschirm bewaffnet und
fröhlich pfeifend auf den Weg in Richtung Krankenhaus machte.
    Danach verging eine Stunde oder vielleicht auch zwei, bis die Tür
wieder aufging und eine schlanke, blonde Frau in einem schmal geschnittenen
Rock und einer leichten Regenjacke erschien – und direkt hinter ihr trat ein
Mädchen auf die Straße, das zwölf oder dreizehn Jahre alt sein mochte. Die
gleichen dicken braunen Haare, die auch der Vater hatte. Dazu die schlanke Figur
der Mutter. Es gab für John keinen Moment des Zweifels: Seine Mutter hatte
nicht nur ein zweites Mal geheiratet – sie hatte auch wieder ein Kind. Eine
Tochter. Seine Schwester – oder zumindest seine Halbschwester. John spürte, wie
ihm seine Kehle bei diesem Gedanken enger wurde.
    Die beiden gingen Hand in Hand die Straße hinunter und sahen dabei
aus wie vertraute Freundinnen. Offensichtlich alberten sie herum, das Mädchen
brach immer wieder in Gelächter aus. John folgte ihnen und versuchte sich dabei
möglichst unsichtbar zu machen. Erst ging es zu einer Bäckerei, dann zu einer
Metzgerei und schließlich in ein Café. Die beiden setzten sich an einen Tisch,
bestellten einen Tee oder einen Kaffee – das konnte John aus der Entfernung
nicht sehen – und begannen ein vertrautes Gespräch miteinander. Sie beugten
sich zueinander, lachten immer wieder. Ava wirkte gelöst und glücklich, so ganz
anders als die unglückliche und einsame Frau, die er sich in seiner Phantasie
vorgestellt hatte. Sie brauchte ihn ganz bestimmt nicht, um in ihrem Leben
wieder etwas Glück einkehren zu lassen.
    John setzte sich an einen weit entfernten Tisch und beobachtete die
beiden weiter aus dem Augenwinkel. Was sollte er nur tun? Sein Gefühl sagte
ihm, dass seine Schwester nichts von seiner Existenz wusste, ebenso wie Dr.
Gehrling. Ava-Eva hatte ihre Vergangenheit in Neuseeland weit hinter sich
gelassen.
    Â»Sie wünschen?«
    Die Bedienung sah ihn auffordernd an. Offensichtlich hatte sie die
Frage nicht zum ersten Mal gestellt.
    Â»Einen Tee. Schwarz, bitte«, brachte er mit Mühe heraus und starrte
weiter Mutter und Tochter an. Was würde wohl passieren, wenn er jetzt
aufstehen, zu Ava-Eva hingehen und

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