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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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ihren Mann satt zu kriegen!«
    Â»Das habe ich befürchtet!«, nickte Inge und fing an, dem Händler mit
viel Gefuchtel und Augenrollen zu verdeutlichen, was sie von ihm haben wollte.
Mit Erfolg. Er füllte die gewünschten Gewürze in kleine Papiersäckchen, zählte
ihr Geld ab, gab ihr sogar etwas heraus und legte schließlich alle Säckchen in
einen kleinen, geflochtenen Korb – den wollte er ihr offenbar zum Einkauf dazuschenken.
Längst war John zu der Erkenntnis gekommen, dass der Händler, bei dem sie die
Bällchen erstanden hatten, wahrscheinlich das Geschäft seines Lebens gemacht
hatte.
    Ehe sie es sich versahen, brach mit einem Mal eine Dämmerung über
die Stadt herein, die schon nach wenigen Minuten der Nacht wich. Inge sah sich
suchend um. »Ich habe nicht viel Angst im Dunkeln, aber jetzt denke ich, dass
wir zum Schiff zurückgehen sollten. Eine Hafenstadt bei Nacht ist womöglich
doch etwas zu viel der Abenteuer für uns …«
    Sie waren sich einig, in welche Gasse sie abbiegen mussten, um
möglichst schnell zum Hafen zu kommen. Trotzdem: Es dauerte nur wenige Minuten,
bis ihnen klar wurde, dass sie sich in der fremden Stadt heillos verlaufen
hatten. Inge seufzte. »Zu Hause würde ich jetzt einfach nach dem richtigen Weg
fragen. Aber ich habe meine Zweifel, dass hier irgendjemand deine oder meine
Sprache spricht.«
    Hinter einer Ecke roch es erbärmlich, ein merkwürdiges Jammern war
zu vernehmen. Unwillkürlich schloss John seine Finger um Inges Hand. Sie wehrte
sich nicht – eher im Gegenteil. »Was ist das?«, flüsterte sie beunruhigt.
    Â»Weiß ich nicht«, war die Antwort. »Dem Geruch nach müssen wir im
Viertel der Gerber und Färber sein – aber woher das Geräusch kommt …? Keine
Ahnung!«
    So schnell es ging, bewegten sie sich weiter durch die Dunkelheit,
wollten Gestank und Jammern hinter sich lassen. Gerade, als John schon aufgeben
wollte, bogen sie um eine Ecke und fanden sich nur wenige Meter vom Hafen
entfernt wieder. Inge stieß erleichtert die Luft aus. »Puh, ich habe schon
befürchtet, dass wir überhaupt nicht mehr aus diesem Gassengewirr herausfinden!«
Sie drückte ein letztes Mal seine Hand, bevor sie sie losließ.
    Nebeneinander liefen sie über den Kai, die Gangway nach oben und
betraten den Frachter. John spürte, wie der Maat ihn beobachtete, und war
insgeheim dankbar dafür, dass Inge seine Hand rechtzeitig losgelassen hatte.
Sie winkte ihm zu und rief – für alle hörbar: »Danke für die Begleitung! Ohne
Ihre Hilfe hätte ich nichts von der Stadt gesehen – und das wäre ewig schade gewesen!«
    Â»Gerne geschehen. Wenn wir wieder anlegen, stehe ich zur Verfügung!«,
entgegnete John. Dann wandte er sich ab und verschwand in Richtung
Mannschaftskabine. Das Gefühl ihrer Hand in seiner blieb allerdings noch
haften, bis er Stunden später einschlief. Er merkte, wie er sich um Inge mehr
Gedanken machte, als er es eigentlich vorhatte. Warum nur wollte sie unbedingt
nach Neuseeland? Was hatte sie veranlasst, sich für drei Jahre als Schneiderin
zu verpflichten? Er nahm sich vor, dies eines Tages herauszufinden.
    Während des Ablegemanövers am nächsten Tag und der letzten Meilen
mit dem Land in Sichtweite bekam er sie allerdings nicht mehr zu Gesicht. In
den Maschinenräumen wurde es allmählich wieder heißer, während die Aotearoa
sich langsam dem Äquator näherte. Längst wusste John, dass sie noch einmal in
Singapur anlegen wollten. Der Frachter nahm nun nicht den schnellsten Weg nach
Neuseeland, sondern folgte den Aufträgen und der Fracht, die er unterwegs
aufnehmen konnte. Inge sah er in den Tagen vor diesem Landgang nur von ferne.
Sie nickten sich zu, grüßten einander – ließen aber ansonsten nicht erkennen,
dass sie jemals ein persönliches Wort miteinander gewechselt hatten.
    Langsam umschiffte der Frachter den riesigen Subkontinent Indien. Im
Wasser tummelten sich Delfine, Fliegende Fische begleiteten das Schiff, und
irgendwann konnten sie sogar von ferne einen Wal sehen. John war überrascht,
für welchen Aufruhr dieser Anblick an Bord sorgte – selbst ältere Matrosen
reckten den Hals, um wenigstens einen kurzen Blick auf diesen Meeresriesen zu
erhaschen. In Neuseeland galten Wale schlicht als Tiere, die es zu jagen galt:
ein harter Job, bei dem seit

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