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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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hast du jemanden gefunden?« Sie sah ihn mit ehrlich
empfundener Neugier an. Einen Moment lang bereute John es, dass er Inge nicht
die Wahrheit über seine Hamburgreise erzählt hatte. Aber dann schüttelte er
dieses Gefühl ab.
    Â»Nein«, antwortete er. »Da war nichts und niemand, was den Krieg
überdauert hätte. Es sieht so aus, als ob meine komplette Familie in Neuseeland
zu Hause wäre. Ich habe wohl keine andere Heimat mehr.«
    Â»Und – was macht deine Familie? Wo lebt sie?«
    Jetzt zögerte er noch länger – dann nahm er einen weiteren
Hühnerspieß und murmelte möglichst beiläufig: »Mit meiner Familie ist das eine
lange Geschichte. Die erzähle ich dir ein anderes Mal. Ist ein bisschen
kompliziert …«
    Sie musterte ihn mit einem merkwürdig intensiven Blick, bevor sie
sich wieder dem Treiben auf dem Markt zuwandte. »Ja, natürlich, irgendwann
mal«, wiederholte sie dabei. John war sich nicht sicher, aber er glaubte, ein
wenig Enttäuschung aus ihrer Stimme herauszuhören. Wahrscheinlich hatte sie
eine größere Enthüllung von ihm erwartet – vor allem, nachdem sie so offen zu
ihm gewesen war. Schweigend beendeten sie ihr Mahl und machten sich wieder auf
den Weg, um sich Singapur anzusehen. Aber für den Rest des Tages drehten sich
ihre Gespräche nur noch um Tempel, fremd gewandete Menschen mit exotischem
Aussehen oder die verschiedenen Currys, die sie im Laufe des Tages probierten.
Noch vor Einbruch der Dämmerung kehrten sie zur Aotearoa zurück. Inge
verabschiedete sich mit einem fröhlichen Winken.
    Â»Unser nächster Landgang ist wahrscheinlich Neuseeland. Versprich
mir, dass du mir auch Auckland einen Tag lang zeigst – ich habe mich jetzt an
dich als Fremdenführer gewöhnt!«
    John lachte und nickte. »Und das ist dann das erste Mal, dass ich
die Stadt wirklich besser kenne als du …«
    Damit fand er sich allein auf dem Deck wieder. Mit einem Mal tat es
ihm leid, dass er diese eigenwillige Frau nach der Besichtigung von Auckland
wahrscheinlich nie mehr wiedersehen sollte. Er mochte ihre abweisende,
schnippische Art inzwischen richtig gerne. Es war mehr als nur eine Ahnung,
dass sie sich damit nur vor zu viel Nähe schützen wollte. Wer weiß, welche
Geschichten noch hinter ihrer Flucht aus Deutschland steckten – was sie von
ihrer Familie erzählt hatte, klang alles andere als glücklich.
    Auf jeden Fall wollte John ihr am Ende dieser Reise ein ordentliches
Abschiedsgeschenk machen. Am nächsten Morgen, wenige Stunden bevor die Aotearoa
aus dem Hafen von Singapur auslief, ging er noch einmal in die Stadt zu den
Gewürzhändlern. Mit viel Gestikulieren schaffte er es, dass sie begriffen, was
er wollte: Die Zutaten zu der scharfen Erdnuss-Soße für die Fleischspieße, die
die Straßenköche offensichtlich Satay nannten. Ein Gewürzhändler packte ihm
Ingwer, Chili, geröstete Erdnüsse und ein paar getrocknete Kräuter in einem kleinen
Sack zusammen. Er reichte ihm diese Mischung und nickte dabei heftig, immer wieder
in Richtung der Straßenköche deutend. John blieb nichts anderes übrig, als zu
nicken und zu zahlen. Hoffentlich hatte er jetzt nicht einen völlig wahllosen
Haufen irgendwelcher Kräuter erstanden … Aber mit ein bisschen Glück machte
Inge tatsächlich etwas aus ihrer Idee mit dem asiatischen Restaurant in Neuseeland.
    Er versteckte den kleinen Beutel voller Gewürze zwischen seinen
Siebensachen unter der kleinen Koje, als der Frachter aus Singapur auslief und
seine Nase endgültig gen Süden drehte. Jetzt sollte es auf nahezu direktem Weg
nach Neuseeland gehen – vorbei an den Inseln Indonesiens, Australiens
Goldküste, Sydney und schließlich Tasmanien. Als dann wieder Land vor ihnen auftauchte,
war allen an Bord klar: Das hier war Auckland, nach langen Wochen an Bord war
jetzt das Ziel ihrer Reise endlich greifbar nah. John half beim Anlegemanöver
mit und sorgte dafür, dass die Aotearoa schließlich fest vertäut am Kai in
Auckland lag.
    Als er sich endlich aufrichtete und ihm klar vor Augen stand, dass
er gerade seine letzten Handgriffe als Matrose dieses Frachters getan hatte,
tauchte mit einem Mal Inge vor ihm auf. Auch sie reiste jetzt nicht mehr mit
leichtem Gepäck: Neben ihr standen ein großer Koffer, ein Rucksack und eine
geräumige Tasche auf dem Kai. Sie sah ihn

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