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Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
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er ohne Umschweife,
als er sich neben sie lehnte – natürlich mit einem schicklichen Abstand von
mehr als einer Armeslänge.
    Â»Schwerlich. Daran würde ich mich wohl erinnern«, entgegnete sie mit
einem deutlich kühleren Ton.
    Â»Doch. In der Meldebehörde haben Sie mich in den Keller geschickt,
als ich das Archiv suchte!« John versuchte ein möglichst harmloses Grinsen.
    Sie biss sich auf die Unterlippe. »Meldebehörde? Das kann sein. Wenn
man ein Land verlassen will, dann lernt man schließlich erst einmal alle Behörden
ganz genau kennen … Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass wir miteinander
geredet haben. Daran würde ich mich doch erinnern! Ich habe ein sehr gutes
Gedächtnis für Menschen!«
    Â»Nun«, erklärte John, »in diesem Fall ist das schon möglich: Ich sah
ein bisschen wie ein verprügelter Schwerverbrecher aus. Frisch gebrochene Nase,
Veilchen …«
    Sie sah ihn noch einmal genauer an und nickte dann langsam. Zu einem
Lächeln konnte sie sich dabei allerdings immer noch nicht durchringen. »Stimmt.
Da war so ein Typ mit einem Akzent wie ein Amerikaner …«
    Â»Neuseeländer!«, fiel John ihr ins Wort. »Und wenn ich das richtig
sehe, dann ist das genau die Gegend, wohin Sie reisen.«
    Â»Ja«, nickte sie. »Neuseeland. Wellington, um genau zu sein.
Deutschland ist zu klein für mich.« Wieder biss sie sich auf die Lippen, und
ihre Stimme wurde wieder kühl. »Aber das muss Sie nicht interessieren. Ich
wollte ohnehin gerade in meine Kabine gehen. Lassen Sie sich bei Ihren Abendbetrachtungen
nicht von mir stören.«
    Damit drehte sie sich um und verschwand, so schnell es ging. John
sah ihr hinterher. Der Pferdeschwanz wippte immer noch genau so, wie er ihn in
Erinnerung hatte. Nur die klappernden Absätze hatte sie jetzt durch einfache,
flache Segelschuhe ersetzt. Er war neugierig, was so eine Frau ausgerechnet in
Neuseeland suchte.
    Sie hatten den Suezkanal schon hinter sich gelassen, als er sie
erneut traf. Zwischendurch hatte John sich eingebildet, dass sie ihm aus dem
Weg ging – aber das war wahrscheinlich nur sein verquerer Eindruck. Warum
sollte eine solche Frau sich die Mühe machen, die Begegnung mit einem einfachen
Matrosen zu vermeiden? Er durfte sie ja ohnehin nicht ansprechen … Aber an
diesem Morgen erlaubte sein Dienst im Maschinenraum ihm eine kleine Pause, und
sein Vorgesetzter hatte ihm zugenickt. »Geh nach oben, und genieß ein bisschen
den Blick auf die Wüste. Nicht mehr lange, und wir sehen nur noch das Meer!«,
hatte er ihm erklärt. Das musste man John nicht zweimal anbieten. Er rannte die
Stufen nach oben und setzte sich auf eine große Rolle Taue, die in einem
versteckten Winkel lag. Die Dünen reichten fast bis ans Meer, es sah aus, als
ob die Wasseroberfläche an einer Stelle einfach durch eine Fläche aus Sand
ersetzt worden sei. John schloss die Augen. Ob er wohl irgendwann einmal in
seinem Leben diese Länder bereisen – und nicht nur mit seinem Frachter daran
vorbeifahren würde?
    Â»Das sieht schön aus, nicht?«
    Die Frau mit dem Pferdeschwanz. Sie stellte sich jetzt unbefangen
neben die Taue und sah hinaus auf die Wüste.
    Â»Es ist doch schwer zu glauben, dass dort drüben fast nie ein
Tropfen fällt, während wir hier direkt auf dem Meer sind. Man könnte im Angesicht
der vollkommenen Trockenheit ertrinken …«
    Â»Ja, aber wem kommt denn angesichts einer so schönen Landschaft der
Tod in den Sinn?«, entfuhr es John. »Ich meine, Sie sind auf dem Weg in ein
wunderschönes Land, haben Ihre Zukunft vor sich – da sollte man doch nicht über
das Ertrinken nachdenken!«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ob es in Neuseeland wirklich so
wunderbar wird, wie ich es mir so oft ausgemalt habe? Hin und wieder habe ich
das Gefühl, dass ich eine völlig falsche Entscheidung gefällt habe!«
    John war über ihre plötzliche Offenheit überrascht. »Sie wirken
nicht wie eine Frau, die irgendetwas spontan entscheidet. Sie haben sich eine
so weite Reise doch sicher lange überlegt!«
    Sie zuckte mit den Achseln. »Ja. Und nein. Ich habe in einem
Schaufenster ein paar Bilder gesehen. Eine traumhafte Landschaft, merkwürdige
Farnbäume, Vulkane, Wiesen, seltsames Vogelgetier und viele Schafe. Das war so
viel schöner als Hamburg. Der Agent hat mir dann erklärt,

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