Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang der Maori

Der Gesang der Maori

Titel: Der Gesang der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emma Temple
Vom Netzwerk:
Schmerz um den Verlust von Inge fast dankbar für
seine geschundenen Hände – für ein paar Stunden lenkte ihn das schließlich von
dem Verlust seiner großen Liebe ab. Eine neue Liebe konnte er sich in diesen
düsteren Stunden im strahlenden Sonnenlicht nicht vorstellen. Fast widerwillig
hörte er kurz vor Sonnenuntergang auf zu arbeiten. Ohne die Beschäftigung
seiner Hände war er allein mit seinen Gedanken.
    Â»Hey, trinkst du noch ein Bier mit uns?«
    Einer der anderen Arbeiter stand plötzlich vor ihm und sah ihn
auffordernd an. John schüttelte nur den Kopf und machte einen kleinen Bogen,
der ihn an dem Frager vorbeiführen sollte. Aber der machte für einen so
massigen Mann einen erstaunlich schnellen Schritt zur Seite und stand wieder
vor ihm.
    Â»Bist du dir etwa zu fein, um mit uns noch ein paar Stunden zu
verbringen? Wie heißt du? John Cavanagh? Bist doch nur ein Söhnchen, das mit
einem silbernen Löffel im Mund geboren wurde, oder? Und das hier ist jetzt dein
Ausflug ins raue Leben, deine kleine Rebellion, oder was? Wenn du eines Tages
genug davon hast, dann kehrst du wieder zurück in dein langweiliges und feines
Leben. Aber weißt du was?« Die Stimme wurde lauter und drohender. »Unsereins
kann nicht zurück in ein anderes Leben – weil wir kein anderes haben. Im Gegensatz
zu dir, Mister Cavanagh!«
    John schüttelte unwirsch den Kopf. »Von wem stammt denn dieser
Blödsinn? Wäre ich wirklich ein reiches Reederei-Söhnchen, wäre ich sicher
nicht hier. Ich heiße ja nicht einmal Cavanagh!«
    Â»Sondern? Hinter welchem Namen versteckst du dich?« Der Sprecher machte
einen Schritt auf John zu. Es wirkte nicht wirklich bedrohlich, machte aber
deutlich, dass sich dieser Mann nicht mit einer Ausrede zufriedengeben würde.
    Â»Erhardt. John Erhardt. Keine Ahnung, wer die Geschichte mit dem
Cavanagh in die Welt gesetzt hat.« Er sah seinem Gegenüber direkt ins Gesicht.
So lange, bis der die Augen senkte und sich geschlagen gab.
    Â»Das hat aber der Zahlmeister gesagt«, beharrte er ein letztes Mal
auf seiner Geschichte. »Ich frag ihn noch einmal. So leicht kannst du mich
nicht verarschen!« Damit trat er zur Seite und machte den Weg frei. John nickte
nur. Er musste unbedingt morgen mit dem Zahlmeister sprechen und dort seinen
Namenswechsel erklären. Oder sich einen neuen Job suchen, bei dem er sich von
Anfang an mit Erhardt vorstellen konnte. Zu tun gab es hier im Hafen überall
reichlich.
    Langsam ging er zurück zu seiner Unterkunft. Ein möbliertes Zimmer
unweit des Hafens hatte die kleine Anzeige versprochen. Eine nette Umschreibung
für das karge Zimmer, das lediglich von einem zu hoch gelegenen Fenster
spärlich erleuchtet wurde. Um einen Blick auf einen schmutzigen Hinterhof zu
erhaschen, musste John sich auf das schmale Bett in der Ecke stellen. Nicht,
dass er sich diese Mühe gemacht hätte – ihm war es egal, wo er zu Hause war. Bei
der Besichtigung dieser Absteige hatte er so schnell zugesagt, dass der
Vermieter ihn verblüfft gemustert hatte. Die Mühe, ihm die Vorzüge der Kammer
aufzuzählen, hätte er sich sparen können …
    In seinem Zimmer fühlte John sich alles andere als wohl. Aber er
hatte ohnehin nicht das Gefühl, dass ihm auch nur ein Quäntchen Wohlbefinden
vorbehalten war. Eher im Gegenteil. Er freute sich schon auf die kühleren Tage,
an denen er für sein Überleben im eisigen Wind am Hafen Buße leisten konnte.
Das einzige Gefühl, das er noch empfinden wollte, war Schmerz.
    Auch an diesem Abend hielt er es nicht lange aus. Er schaltete das
Radio ein und nach kürzester Zeit wieder aus. Wen konnte es schon
interessieren, ob man sich einen Kühlschrank kaufen sollte oder nicht? In einer
Schnulze jammerte eine Frau über eine für immer verlorene Liebe, es folgte ein
weiterer überschwänglicher Bericht über die Queen und ihren Besuch in
Neuseeland. Egal, wo sie auftauchte, sie sorgte überall für wahre
Begeisterungsstürme. Das war der Moment, an dem John auf den Knopf drückte.
Auch Inge hatte sich auf die vielen Male gefreut, an denen sie die Königin in
Wellington sehen würde. Ein weiterer Traum, der unerfüllt blieb. Inge würde die
Königin sicher nicht sehen und ihr auch nicht näher kommen als an ihrer
Beerdigung. Die Königin hatte die Opfer von Tangiwai, die nicht identifiziert
werden

Weitere Kostenlose Bücher