Der Gesang der Maori
konnten, in einer schlichten Zeremonie gewürdigt. Zu den Leichnamen
gehörte sicher auch der von Inge, nachdem John sich geweigert hatte, ihren
Namen preiszugeben.
Nachdem er das Radio ausgeschaltet hatte, herrschte wieder Ruhe in
dem kleinen Zimmer. Für ein paar Minuten saà John reglos an dem kleinen
Küchentisch. Er sah seine zerschundenen Hände an, ohne irgendetwas wirklich
wahrzunehmen. Erst das Knurren seines Magens machte ihm klar, dass er
wenigstens ein bisschen auf die Bedürfnisse seines Körpers achten musste. Mit einem
leisen Seufzer stand er auf und ging noch einmal die steilen Stufen hinunter
auf die StraÃe. Ein kleiner Stehimbiss in der Nähe würde seinen Hunger stillen.
Und wenn er danach noch ein Bier oder zwei in der benachbarten Bar trank, dann
war ihm wenigstens auch ein traumloser, tiefer Schlaf sicher.
Er konnte später nicht sagen, warum er einfach an dem Stehimbiss
vorbeigelaufen war. Nach der schweren Arbeit im Hafen war ihm eigentlich nicht
nach Bewegung. Und seine Neugier auf Auckland war seit dem Tag mit Inge in
dieser Stadt völlig verschwunden. Trotzdem lief er ziellos weiter, bog
irgendwann in die breite StraÃe ein, die vom Hafen wegführte. Er kam an kleinen
Geschäften und kleinen Restaurants vorbei â und fand sich schlieÃlich vor einer
Milkbar wieder. Eine schmale Theke, an der alle möglichen Getränke verkauft
wurden â und keinesfalls nur so harmlose Dinge wie Milch. Dazu Sandwiches und
Snacks, ein Laden genau nach seinem Geschmack. Ohne lang nachzudenken, ging er
hinein, setzte sich auf einen der Barhocker und bestellte ein Bier und ein
Sandwich mit kaltem Hühnerfleisch und viel Kartoffeln. Während er auf seine
Bestellung wartete, sah er sich um. Viele der Plätze waren frei, in einer Ecke
saÃen fünf oder sechs Gäste in seinem Alter. Unwillkürlich hörte er ihrer
Unterhaltung zu.
»â¦Â dann geh doch auf die Farm von deinem Alten, und mach die ScheiÃe
von seinen Schafen weg!«, erklärte in diesem Augenblick ein junger Mann mit
dunkler Tolle und schwarzer Lederjacke einem anderen. »Wenn du Glück hast,
kannst du dir in ein paar Monaten schon ein Auto leisten. Das ist doch wohl ein
bisschen Arbeit wert.«
Die anderen lachten laut. John erkannte noch nicht ganz den Witz in
dieser Bemerkung. Aus dem Augenwinkel sah er zu, wie der Wortführer seinen Arm
um eines der beiden Mädchen schlang und sie eng an sich presste. Das hatte John
allerdings noch nie in aller Ãffentlichkeit gesehen. Als die beiden dann auch noch
einen innigen Kuss austauschten, konnte er seine Augen kaum noch abwenden. Das
war nun wirklich ein Skandal. Unauffällig sah er sich in der kleinen Bar um.
Teilte hier jemand seine Empörung? Aber er stellte schnell fest, dass er neben
dieser Gruppe inzwischen fast der einzige Gast war. Nur ein dünner, asiatisch
aussehender Mann saà noch in einer Ecke und löffelte eine Schale mit Suppe
leer, ohne seine Augen auch nur ein einziges Mal zu heben.
Ein schlankes Mädchen kam aus der Küche, stellte das Sandwich vor
John ab und ging dann mit wiegenden Hüften zu den anderen Besuchern. Er sah ihr
fassungslos hinterher. Sie trug Jeans und ein Hemd, dessen Enden sie vor dem
Bauch einfach zusammengeknotet hatte. Das hatte er ebenfalls noch nie gesehen.
Sie schien seine Blicke in ihrem Rücken zu bemerken und drehte sich um. »Na,
gefällt dir, was du da siehst?«, fragte sie mit einem neckischen Unterton.
Nicht einmal bösartig. John zuckte mit den Achseln. »Wem würde das nicht
gefallen?«, meinte er dann nur.
Die Gruppe brach in Gelächter aus. Sie waren zwar in Johns Alter â
aber so ganz anders als er. Der Wortführer angelte eine Zigarettenschachtel aus
seiner Hemdtasche und zündete sich eine Zigarette an. Dabei versuchte er ein
möglichst lässiges Gesicht zu machen. »Stimmt. Wem würde das nicht gefallen«,
wiederholte er Johns Bemerkung mit leicht näselnder Stimme. »Mal abgesehen von
den Tausenden von Neuseeländern, die der Queen zujubeln, vom eigenen Auto,
einem Kühlschrank und einem Boot träumen und am liebsten hätten, dass Mann und
Frau nur in der Dunkelheit und nach der Hochzeit zusammenkommen. Die wollen
lieber nicht, dass Frauen Hosen tragen. Oder man sich an ihren Kurven erfreut.«
John konnte nicht anders, er musste lächeln. Der Wortführer hatte
wahrscheinlich recht. Und mit
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