Der Gesang der Maori
noch andere Ziele als eine ordentliche
Arbeit gab? Hatte er womöglich seine Zeit auf der Schule nur verschwendet? Den
völlig falschen Weg gewählt, um seinem Ziehvater zu schaden?
Er konnte diesen Gedanken nicht allzu lange nachhängen. Maureen
legte ihren Arm um seine Hüfte und zog ihn mit einer aufreizenden Bewegung an
sich heran. »Wie sieht es denn aus bei dir? Hast du eine Freundin?«, flüsterte
sie ihm dabei ins Ohr. Dann hauchte sie ihm einen Kuss auf die Wange â und das
in aller Ãffentlichkeit. John wurde rot und versuchte, sie unauffällig ein
bisschen mehr auf Abstand zu bringen.
»Ja. Ich meine, nein. Sie ist â¦Â«, stammelte er und wand sich
möglichst freundlich aus ihrem festen Griff.
Sie zeigte beim Lächeln ihre weiÃen Zähne. »Ich verstehe. Sie hat
dich eben erst verlassen, du möchtest noch nicht darüber reden, es ist alles
viel zu frisch, und du möchtest dich auf niemanden einlassen.« Sie beugte sich
näher zu ihm und gab ihm einen Kuss direkt auf den Mund. »Mit mir musst du dich
nicht näher einlassen. Ich möchte nur ein bisschen spüren, wie sich ein
durchtrainierter Mann wie du so anfühlt. Die anderen bewegen sich nur dann,
wenn es gar nicht zu vermeiden ist. Das sorgt nicht gerade für einen tollen
Körper.«
Sie hatte etwas von einem Haifisch. In ihren Wünschen sehr einfach
und völlig enthemmt in der Durchsetzung ihres Willens. Die anderen beobachteten
sie â und Stuart beugte sich lachend zu John hinüber. »Nimm dich in Acht vor
Maureen. Sie verschlingt dich mit Haut und Haaren und spuckt dann die
kläglichen Reste aus. Glaub mir, ich spreche da aus Erfahrung!«
John zuckte mit den Achseln. »Vielleicht möchte ich das ja sogar â¦Â«
Alle lachten, Stuart wandte sich mit einer theatralischen Geste ab.
»Dann ist dir wirklich nicht zu helfen!«
Es wurde spät, bis der Besitzer der Milkbar sie endlich auf die
StraÃe beförderte. Als sie sich alle voneinander verabschiedeten, fühlte John
sich zum ersten Mal seit Inges Tod wieder lebendig. Endlich konnte er wieder
ein bisschen lachen und musste nicht nur seinem Atem zuhören und sich schuldig
fühlen. Maureen drängte sich zum Abschied noch einmal an ihn und fuhr ihm mit
den Fingern durch die Haare. »Geh zum Friseur, ja? Tu es für mich! Und
vielleicht noch in ein Geschäft, um dir etwas Ordentliches zum Anziehen zu
kaufen. So ist das einfach noch viel zu sehr der Schaf-Chic der Farmen. Und der
ist wirklich unerträglich.« Ein letzter Kuss, direkt auf den Mund â und weg war
sie. Der Rest der Gang folgte ihr, mit lauten Rufen, Winken, Lachen und keinem
Wort des Abschieds an John.
Der stand für einen Moment bewegungslos auf der StraÃe und sah ihnen
hinterher. Dieses völlig sorglose Leben, bei dem nicht ein Gedanke an die
Vergangenheit oder Zukunft verschwendet wurde, wirkte auf ihn wie eine
VerheiÃung. Mit leicht schwankendem Gang machte er sich auf den Weg nach Hause.
Die einsetzende Morgendämmerung über den Dächern von Auckland bemerkte er nicht
einmal, als er sich in seinem kleinen Zimmer auf das enge Bett fallen lieÃ.
Es war später Vormittag, als er wieder im Hafen bei seiner
Arbeitsstelle auftauchte â und er spürte mit einiger Ãberraschung, dass ihn die
Schimpftirade seines Vorarbeiters unberührt lieÃ. Es gab so viele Jobs hier am
Hafen â wenn er morgen nicht mehr Lammhälften stapeln würde, dann waren es eben
Kisten mit Butter. Und egal, was es war: Es würde dafür sorgen, dass er sich am
Abend wieder ein paar Bier mit den anderen aus der Milkbar gönnen konnte. Er
fuhr sich durch das halblange Haar. Und vielleicht auch einen Haarschnitt. So
schlecht sah es in der Tat nicht aus, was die anderen Männer aus der Gang
trugen. Wenn er hier fertig war, wollte er mal bei einem Friseur nachfragen â¦
Sein Vorarbeiter sah etwas überrascht, dass sein fleiÃigster
Arbeiter an diesem Morgen nicht nur einige Stunden zu spät gekommen war,
sondern auch zum ersten Mal nach den festen Lederhandschuhen griff, die er bis
zu diesem Tag immer abgelehnt hatte. Irgendetwas musste da passiert sein. Der
Vorarbeiter lächelte. Vielleicht hatte dieser John ja ein Mädchen gefunden. War
ja kein übel aussehender Bursche, und so fleiÃig, wie er war, wäre er garantiert
kein schlechter Fang. Vielleicht sollte er diesen John
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