Der Gesang der Maori
seinen sorgfältig zu einer Tolle frisierten
schwarzen Haaren, seinen engen Hosen und der Lederjacke sah er wie der Albtraum
eines braven Neuseeländers auf seiner Schaffarm aus. Bei diesem Mann konnte man
nicht damit rechnen, dass er sich freiwillig die Hände dreckig machen würde.
Das Mädchen, das ihm eben noch das Sandwich gegeben hatte, winkte
ihm zu. »Komm, setz dich an unseren Tisch. Du siehst nicht so aus, als ob du
hier in der Stadt schon viele Menschen kennen würdest. Mit uns ist es lustig,
das wirst du sehen!«
John zögerte nicht lange. Die gesamte Gruppe sah nicht so aus, als
ob sie gerne Regeln befolgen würde, sondern lieber ein bisschen Spaà haben
wollte. Spaà â das hatte er schon länger nicht mehr gehabt. Er setzte sich zu
ihnen, lächelte in die Runde und stellte sich vor. »John. Du hast recht: Ich
bin erst seit vierzehn Tagen hier.«
»Was machst du?« Sie schien wirklich neugierig zu sein.
»Kisten stapeln im Hafen.« Er wusste selbst nicht, warum er ihr so
freimütig Auskunft gab.
»Puh«, murmelte sie. »Das klingt aber anstrengend.«
»Ja«, nickte John. »Aber damit verdiene ich meine Miete und mein
Bier. Was will ich mehr?«
»Spaà und keine Anstrengung«, entgegnete sie wie aus der Pistole
geschossen.
»Und wer finanziert das?« John bereute die Frage schon in dem
Augenblick, in dem er sie gestellt hatte. Diese Leute sahen nun wirklich nicht
so aus, als ob sie länger darüber nachdenken müssten, wo denn das Geld herkam.
Seine Vermutung wurde fast sofort bestätigt.
»Papa. Der denkt, dass ich hier in der Stadt was Vernünftiges
lerne!«, erklärte sie ohne Umschweife. »Ist natürlich Blödsinn. Ich verdiene
mir hier in der Bar noch etwas dazu, nehme sein Geld und habe eine gute Zeit.«
»Und dann?« John war verblüfft.
Sie schien ihn nicht zu verstehen. »Was meinst du mit âºUnd dannâ¹?«
»Wenn du lange genug eine gute Zeit gehabt hast â dann musst du doch
etwas anderes vorhaben. Oder etwa nicht?« Er war wirklich neugierig auf die
Antwort.
Auf jeden Fall mehr als das Mädchen, das einem der Raucher die
Zigarette aus dem Mund schnappte, einen tiefen Zug nahm, hustete und dann
fröhlich erwiderte: »Davon kann man doch gar nicht genug bekommen. Ich hoffe,
diese gute Zeit endet nie!«
Diese Sorglosigkeit, wenn es um die eigene Zukunft ging, faszinierte
John. Er, der sich bis zu dem Unglück in Tangiwai jeden Tag Gedanken über seine
Fähigkeiten, seine wahren Eltern und seine Ausbildung gemacht hatte, hörte zum
ersten Mal von einem Leben ohne jeden inneren Antrieb und jedes höhere Ziel.
Genau so, wie er es jetzt seit vierzehn Tagen machte, seitdem er sich einfach
durch die Tage treiben lieÃ. Und er musste zugeben, dass er diesen Lebensstil
faszinierend fand. »Trefft ihr euch hier jeden Tag?«, fragte er möglichst
gelassen nach.
Sie sah ihn kurz an, schien einschätzen zu wollen, ob sie seinem
harmlosen Blick einfach vertrauen konnte. Dann nickte sie. »Ja. Fast jeden Tag,
wann immer das Wetter es zulässt.« Sie sah den Wortführer an, der fast
unmerklich nickte. »Wenn du willst, kannst du gerne wiederkommen. Es wäre
allerdings nett, wenn du dann nicht mehr diese Provinzmatte trägst.« Sie
deutete auf seine halblangen Haare, die ihm bis auf die Schulter hingen. »Frag
nach einer Tolle, wenn du dir einen Gefallen tun willst. Siehst doch gar nicht
so schlecht aus!«
Verlegen fuhr sich John durch seine Haare. »Ãber meine Frisur habe
ich mir bisher noch nie Gedanken gemacht â¦Â«
»Das sieht man«, stellte sie trocken fest. Dann breitete sich wieder
ein Lächeln über ihrem Gesicht aus, und sie streckte ihm ihre Hand entgegen.
»Ich heiÃe Maureen.« Sie deutete auf die anderen. »Und das sind Stuart, Sharon,
Neville, Frederick und Simon.«
Er schüttelte der Reihe nach die Hände und fand sich wenig später an
ihrem Tisch, mit dem zweiten oder dritten Bier in der Hand. Die anderen
erzählten aus ihrem Leben, und schnell wurde ihm klar: Keiner aus dieser Gruppe
hatte eine richtige Arbeit. Sie bekamen Unterstützung von ihren Eltern, jobbten
in Bars oder in den Geschäften an der Queen Street und wollten vor allem ihren
Spaà haben. Was die anderen über sie dachten, war ihnen völlig egal. John hörte
begeistert zu. Konnte es sein, dass es
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