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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Handwerker.«
    Beim genaueren Hinschauen erkannte ich die senkrechte Rückenfinne und die großen, spitzen Zähne im Maul des dargestellten Tieres. »Es ist ein Orca«, sagte ich. »Und du bist kein Handwerker, sondern ein Künstler.« Meine Bewunderung für ihn wuchs.
    Die Hände auf dem Rücken durchschritt ich Javids Zimmer und betrachtete all die interessanten Gegenstände, die es beherbergte. Ein harziger Duft nach frischem Holz durchzog den Raum, was wohl von dem Berg Spänen kam, der sich zu Javids Füßen anhäufte.
    Â»Ihr hattet wirklich Glück«, sagte er. »Es kommt nämlich gar nicht so häufig vor, dass sich Orcas vor unserer Küste aufhalten. Meist bleiben sie weiter oben im Norden, weil sie da mehr zu fressen finden. Aber diese kleine Walschule ist jetzt schon seit fast fünf Wochen da.«
    Ich drehte mich zu ihm um. »Fressen die nicht den Fischern die Fische weg?«
    Â»Nicht wirklich.« Javid schüttelte energisch den Kopf. »Dass die Fische bei uns weniger werden, hat ganz andere Gründe und die Wale haben genauso wie die Fischer darunter zu leiden. Mein Onkel Henry ist auch Fischer, aber er hatte Glück. Es ist nicht so einfach, eine Lizenz für Walbeobachtungstouren zu bekommen. Nur weil sein Boot neu ist und er sich strikt an die Regeln hält, hat er eine Lizenz bekommen. Deshalb kann er sich im Sommer ein wenig dazuverdienen, wenn Touristen in Neah Bay sind.«
    Â»Kommen denn überhaupt Touristen nach Neah Bay?«, fragte ich ihn.
    Â»Bist du kein Tourist?« Er sah mich mit hochgezogenen Brauen fragend an.
    Ich zuckte die Achseln. »Mein Vater soll für einen Bildband Aufnahmen von der Halbinsel und von eurem Stammesfest machen, deshalb sind wir hier. Er muss arbeiten, also ist er kein Tourist.«
    Javid legte den Kopf schief und hielt den geschnitzten Orca ins Licht. Mit zusammengekniffenen Lidern kontrollierte er seine bisherige Arbeit. »Jeder, der nach Neah Bay kommt«, sagte er, »kommt wegen irgendetwas. Die meisten wollen das Museum sehen oder einen Abstecher ans Kap machen. Das genügt ihnen dann auch schon. Fotografen wie dein Vater kommen viele. Sie machen Fotos am Cape Flattery oder am Shi Shi Beach. Sie fotografieren Wale, Vögel und Sonnenuntergänge. Aus den Bildern werden dann Kalender oder Postkarten gemacht, manchmal auch Bücher. Uns ist es egal, warum jemand kommt, wenn er sich nur an die Regeln hält und uns in Ruhe lässt. Vor drei Jahren, als unsere Männer zum ersten Mal nach langer Zeit wieder einen Wal jagten, war hier in Neah Bay die Hölle los. Keiner von uns Makah hat das vergessen.«
    Ich setzte mich auf Javids Bett, weil er auf dem einzigen Stuhl saß,den es in seinem Zimmer gab. »Mein Vater hat mir davon erzählt«, sagte ich. »Die Tierschützer haben euch das Leben schwer gemacht. Aber irgendwie kann ich sie verstehen. Ich finde es auch nicht gut, Wale zu töten. Es macht keinen Sinn.«
    Er schwieg einen Moment.
    Â»Für dich macht es keinen Sinn, weil du keine Makah bist«, antwortete Javid ernst. »So einfach ist das.«
    Â»Ist das wirklich so einfach?« Meine nachdrückliche Frage erstaunte ihn offensichtlich, aber ich redete weiter. »Du warst doch heute mit da draußen und ich habe gesehen, dass du sie magst. Du hast ihnen sogar Namen gegeben. Wie kann man jemanden töten, dem man einen Namen gegeben hat?«
    Javid legte das Schnitzmesser aus der Hand und kam auf mich zu. Er reichte mir seine Holzplastik mit den Worten: »Was wir heute gesehen haben, Copper, waren Orcas. Killerwale, die Wölfe der Meere.«
    Â»Wölfe der Meere?« Ich runzelte die Stirn, weil ich nicht wusste, was er mir damit sagen wollte.
    Â»Ja. Unsere Vorfahren erzählten sich, dass die Killerwale manchmal an Land kamen und sich in Wölfe verwandelten. Der Ruf eines Wolfs hört sich an wie der Widerhall eines Orcarufes. Deshalb dachten die alten Makah, es wäre dasselbe Tier mit einem Körper für das Land und einem anderen für das Meer. Man sagt, einige dieser Wesen waren den Menschen freundlich gesinnt, andere weniger. Obwohl ihr Fleisch gut schmecken soll, haben unsere Vorfahren nur ganz selten Orcas gejagt. Es war viel zu gefährlich, denn diese Tiere sind schnell und klug.« Javid verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir Makah haben Grauwale gejagt, Copper. Mit dem Kanu und der Harpune, fünf oder

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