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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Ich hatte sogar gelacht.
    Javid wartete immer noch auf meine Antwort. »Möchtest du nicht darüber reden?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Schade«, erwiderte er, war aber mit seinen Fragen noch nicht am Ende. »Und was willst du mal mit deinem Leben anfangen, Copper? Was willst du mal werden? Oder kannst du mir das auch nicht sagen?«
    Â»Ich will gar nichts werden«, murmelte ich, »nur malen.«
    Â»Das ist gut.« Er lachte. »Deine Bilder, ich würde sie gerne sehen.«
    Â»Dann besuch mich doch mal in Berlin«, schlug ich vor.
    Javid schüttelte traurig den Kopf. »So einfach, wie du glaubst, ist das nicht. Manchmal denke ich daran, wie es wäre, hier abzuhauen. In ein Flugzeug zu steigen und andere Länder zu sehen. Ich war noch nie weg aus dieser verdammt nassen und dunklen Ecke. Aber ich kann meine Mutter nicht allein lassen, sie hat ja nur mich.«
    Wir stiegen aus und ich sah, dass außer unserem roten Leihwagen und dem Ford der Austins noch zwei weitere Autos vor dem Motel standen.
    Â»Neue Gäste«, sagte Javid. »Meine Mutter ist froh über jeden, der kommt. Vielleicht hast du es schon bemerkt, aber in Neah Bay gibt es keine Transients, keine Durchreisenden, wie draußen vor der Küste.« Er lachte auf seltsame Weise und ging zum Haus.
    Vor seinem Zimmer verabschiedeten wir uns. Javid versuchte noch einmal mich zu küssen, aber ich wandte den Kopf zur Seite.
    Â»Warum?«, fragte er. »Magst du mich nicht?«
    Â»Doch«, sagte ich schnell, »aber …«
    Â»Schon gut.« Er lächelte nicht, sah mich nur an mit seinen schwarzen Augen.
    Â»Ich werde dir ein Bild malen«, sagte ich.
    Â»Ja«, erwiderte er, »das wäre schön. Bis morgen, Copper.«
    Â»Bis morgen.«
    Ich eilte die Stufen nach oben und wäre beinahe mit meinen Vater zusammengestoßen, der am Geländer stand und auf mich wartete. »Da bist du ja endlich«, sagte er. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
    Â»Hat Javids Mutter dir nicht gesagt, dass wir zum Kap gefahren sind?«
    Â»Doch«, meinte er ungehalten, »aber es ist dunkel und spät. Du bist fremd hier und kennst dich überhaupt nicht aus.«
    Â»Ich war mit Javid zusammen«, verteidigte ich mich. »Der kennt sich sehr gut aus.«
    Â»Da ist es ja gerade, verdammt noch mal«, brauste Papa auf. »Du hast einfach noch keine Erfahrung mit so etwas.«
    Â»Mit was denn?«
    Er wollte gerade wieder loswettern, als er plötzlich innehielt, mich an sich heranzog und fest umarmte. »Ich will einfach nicht, dass dir etwas passiert, Sofie«, sagte er. »Du bist alles, was ich noch habe.«
    Sein Ausbruch überraschte mich. Papa war noch nie überbesorgt gewesen. Meistens hatte es ihn nicht weiter interessiert, wo ich war und was ich dort machte.
    Ich machte mich von ihm los, denn seine Umarmung war mir unangenehm. Ich wollte jetzt allein sein, in meinem Zimmer. »Wie geht es deinem Zahn?«, fragte ich trotzdem höflich.
    Â»Ich fürchte, er muss raus. Es wird nicht besser, eher schlimmer.«
    Â»Ich komme morgen nicht mit«, sagte ich. »Hab keine Lust auf Stadt. Wahrscheinlich werde ich an den Strand gehen und malen.«
    Â»Schade«, sagte mein Vater. »Vielleicht überlegst du es dir ja noch mal.«
    Â»Ich glaube nicht. Und mach dir keine Sorgen um mich, Papa. Ich gehe schon nicht verloren. In Neah Bay kann man gar nicht verloren gehen. Falls du es noch nicht bemerkt hast: Wir sind hier am Ende der Welt.«
    Â»Ja, du hast Recht. Es tut mir Leid. Es ist nur … ich will nicht, dass dir jemand weh tut.«
    Ich zuckte gleichgültig die Achseln. »Javid wollte nur nett sein. Er hat mir das Kap gezeigt.«
    Â»Im Dunkeln?« Papa warf mir mit hochgezogenen Brauen einen Blick zu. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn mir gegenüber je so misstrauisch gesehen zu haben.
    Â»Es war der Sonnenuntergang«, sagte ich. »Ich habe Javid erzählt, dass ich gerne male. Also ist er mit mir ans Kap gefahren, um mir den Sonnenuntergang zu zeigen. Und wenn die Sonne untergegangen ist, wird es nun mal dunkel.« Ich gab ihm einen Kuss auf die gesunde Wange. »Gute Nacht, Papa!«
    In meinem Zimmer lief ich sofort zum Spiegel, um herauszufinden, ob Javids Kuss mich irgendwie verändert hatte. Nein, ich sah noch genauso aus wie vorher: zu große Augen, eine spitze Nase, zu viele Sommersprossen, die genauso dunkel waren

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