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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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wie meine Lippen. Nicht sonderlich hübsch. Aber auch wenn ich noch so aussah wie zuvor: Ich fühlte mich ganz anders. Ich fühlte mich gut. War das nicht merkwürdig?
    Nach dem Zähneputzen fiel ich erschöpft und todmüde in mein Bett. In bunt verworrenen Bildern stürzten die Ereignisse des Tages auf mich ein, sobald ich nur die Augen schloss. Die Orcas mit ihren riesigen schwarz-weißen Körpern, ihren Urwaldtönen und ihrer unerwarteten Freundlichkeit. Javid und seine Geschichte von der Kupferfrau. Sein ungewöhnliches Zimmer. Sein plötzlicher Kuss. Ich hatte zum ersten Mal in meinem Leben einen Kuss von einem Jungen bekommen. Einem Jungen, der Mädchen wie mich normalerweise übersah. Aber hier in Neah Bay schien alles anders zu sein. Das war eine verzauberte Welt mit Sonnenuntergängen, die lebendigem Feuer glichen und später zu goldenem Honig am Himmel wurden.
    Javids Kuss hatte mich erschreckt. Trotzdem musste ich mir jetzt eingestehen, dass es mir gefallen hatte, geküsst zu werden. Weil ich dauernd daran denken musste, schlug mein Herz ganz schnell und an Einschlafen war nicht zu denken. Ich versuchte das Kopfkissen unter meinem Kopf zusammenzurollen, wie ich es zu Hause auch tat. Aber es funktionierte nicht, denn es war mit Schaumflocken statt mit Federn gefüllt.
    Nachdenklich löschte ich das Licht. Und im Dunkeln, als die Bilder des Tages sich wie Nebel verflüchtigten, wurde mir plötzlich bewusst, dass dies der erste Tag seit Mamas Tod war, an dem ich nicht ständig an sie gedacht hatte. Erst jetzt, als sich dieses Glücksgefühl so warm in mir ausbreitete, verspürte ich den Wunsch, ihr von Javid zu erzählen. Davon, dass er mich Copper nannte und mich einfach so geküsst hatte, ohne mich vorher um Einverständnis zu bitten.
    Mama hätte mich lächelnd in die Arme genommen und mir gesagt, dass er mein Einverständnis vielleicht in meinen Augen gelesen hatte. Sie hätte mir davon erzählt, wie sie sich das erste Mal verliebt hatte: in einen Jungen mit langen schwarzen Haaren, einen rumänischen Zigeuner, der jeden Morgen Fladenbrote auf dem Zeltplatz verkaufte, auf dem sie mit ihren Eltern den Sommer am Schwarzen Meer verbrachte.
    Aber Mama war tot und meinem Vater gefiel nicht, dass ich mit Javid Ahdunko allein unterwegs war. Papa hatte Angst um mich. Komisch, denn wenn ich mit Javid zusammen war, hatte ich vor nichts mehr Angst.
    Ich rollte meinen Körper zu einem Knäuel zusammen und fiel in einen tiefen Schlaf.

8. Kapitel
    E in Klopfen weckte mich. Es war Papa. Er versuchte mich doch noch für die Fahrt nach Port Angeles zu begeistern, aber ich hatte immer noch keine Lust, mit ihm in die Stadt zu fahren. Viel lieber wollte ich mit Javid zusammen sein. Es sah so aus, als würde die Sonne den Morgennebel bald auflösen und ein schöner Tag daraus werden.
    Wir frühstückten, das heißt, Papa hatte große Probleme mit seinem vereiterten Zahn und trank nur schwarzen Kaffee. Danach machte er sich, voll gepumpt mit Schmerztabletten, gleich auf den Weg nach Port Angeles.
    Javid hatte ich am Morgen nur kurz gesehen, als er den Kaffee gebracht hatte. Doch kaum war Papa weg, klopfte es an meiner Zimmertür. Ich öffnete.
    Â»Hi«, sagte Javid fröhlich. »Hast du heute schon was vor?« In seinen ausgewaschenen Latzhosen und dem grünen T-Shirt mit ausgefranstem Saum am Halsausschnitt sah er einfach umwerfend aus.
    Ich trat einen Schritt ins Zimmer zurück und zeigte auf den Tisch, wo meine Farben ausgebreitet lagen. » Eigentlich wollte ich malen.« Das stimmte, aber nur halb. Viel größer war der Wunsch, mit Javid zusammen etwas zu unternehmen.
    Â»Hier drin?« Er zog die rechte Augenbraue nach oben.
    Ich lachte über seine Miene. »Nein, natürlich nicht hier drin. Ich will an den Strand.«
    Nun verzog er noch mehr das Gesicht. »Der Strand von Neah Bay ist zwar ganz schön, aber er bietet nichts Besonderes«, machte er mir mein Vorhaben madig. »Da gibt es ganz andere Stellen. Zum Beispiel drüben, am Sooes Beach. Ich könnte dich hinbringen und dir einen guten Platz zum Malen zeigen, wenn du willst.«
    Und wie ich das wollte! Nach einem gespielten Zögern nickte ich achselzuckend. »Also gut.« Nur nicht merken lassen, dass ich mich über sein Angebot freute wie ein kleines Kind, das Geburtstag hatte.
    Auf Javids Gesicht erschien ein Lächeln. »Ich

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