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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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wirklich schön. Ärmellos und weit, fast knöchellang, aus leichtem Stoff in den verschiedensten Blau- und Grüntönen. Obwohl es Pastellfarben waren, fand ich das Kleid für meine Begriffe ganz schön bunt. Nur Mama zuliebe hatte ich es manchmal getragen.
    Â»Grün und Blau trägt Kasper seine Frau«, hatten sie mir in der Schule nachgerufen und mich spöttisch gefragt, ob ich in anderen Umständen wäre. Darüber konnten sie sich dann ausschütten vor Lachen. Ich fand das einfach nur dumm.Schließlich machte ich mich auch nicht lustig über ihre schwarzen Einheitsklamotten, in denen sie aussahen wie große schwarze Vögel.Ich fand sie seltsam gekleidet und nicht mich. Aber damit stand ich ziemlich alleine da, denn sie waren eindeutig in der Überzahl.
    Ich packte meine Maltasche zusammen und machte mich auf den Weg zum Museum.Warum nicht?, dachte ich. Papa würde es bestimmt gefallen,wenn er erfuhr, dass ich mich kulturell gebildet hatte. Und zwar ohne Javid Ahdunkos Begleitung.
    Die Hauptstraße war fast menschenleer. Ein bisschen wunderte mich das, denn Neah Bay sollte laut Freda mehr als 1 800 Einwohner haben. Wo waren sie alle? Schliefen sie noch? Ein großer Teil der Erwachsenen arbeitete vielleicht außerhalb des Reservats. Ich sah ein paar kleine Kinder, aber wo waren die Jugendlichen in meinem Alter? Ich nahm nicht an, dass sie mit ihren Eltern in Urlaub gefahren waren. Javid hatte mir erzählt, dass er den Bundesstaat Washington noch nie verlassen hatte, und vermutlich ging das den meisten anderen hier genauso.
    Umherzufahren und sich fremde Gegenden anzusehen kostete Geld – wenigstens das Benzingeld und die meisten Makah kamen gerade so über die Runden. Da blieb nichts übrig, um sich irgendwelche Träume zu erfüllen.
    Ich wanderte die Straße entlang, beschwingt von Javids Kuss. Wenn mir doch mal jemand begegnete, sah er an mir vorbei, als wäre ich unsichtbar. Selbst die Kinder beachteten mich nicht. Es kam mir seltsam vor, aber weil ich es von zu Hause gewohnt war, machte ich mir keine Gedanken darüber.
    Nachdem ich den Ortsausgang erreicht hatte, konnte ich den Eingang zum Museumsgelände bereits sehen. Zwei geschnitzte Totempfähle trugen das Brett mit dem Willkommensgruß.Das Museumsgebäude selbst war ein großer, flacher Betonbau mit einem Dach aus silbergrauen Zedernschindeln. Auf dem asphaltierten Parkplatz davor standen einige Autos und eine blonde amerikanische Familie mit fünf Kindern stieg gerade aus ihrem Kleinbus.
    Ich betrat das Gebäude durch die Schwingtür und wurde von einem gedämpften, eigenartigen Gebrüll empfangen, das mich sofort neugierig machte. Ich bezahlte meinen Eintritt an der Kasse und ging langsam dem Gebrüll nach, das kurzzeitig verklungen war und nun aufs Neue einsetzte.
    In den abgedunkelten Räumen des Museums waren die Vitrinen mit den Ausstellungsstücken spärlich, aber raffiniert beleuchtet. Ich studierte die Informationstafeln und erfuhr, dass man dieses Museum 1979 gebaut hatte, einige Jahre nachdem durch einen Erdrutsch das alte Walfängerdorf Ozette freigelegt worden war. Ozette war eines der fünf alten Dörfer gewesen, die die Makah in der Vergangenheit bewohnt hatten. Vor 500 Jahren war es bei einem Seebeben unter Erdmassen begraben worden und über all die Jahre hatten die Artefakte zum Teil hervorragend konserviert unter der Erde überdauert. Die wichtigsten und schönsten Stücke waren seither in diesem Museum zu bewundern.
    Ich sah mir alles genau an: die Bastkörbe mit ihren wunderschönen und kunstvollen Verzierungen, die Holzmasken, Angelhaken und Harpunen. Die bemalten Zedernholzkästchen und das große Walfangkanu. Es war viel länger als Javids Kanu und auch geräumiger. Aber in seiner Form glich es dem Kanu im Schuppen, das darauf wartete, ans Licht des Tages gebracht zu werden und sich auf dem Meer zu bewähren.
    Schließlich entdeckte ich auch, woher das seltsame Gebrüll kam. Es war ein großes Diorama mit ausgestopften Seelöwen vor einer fast echt wirkenden Kulisse. Per Knopfdruck begannen sie mit ihrem Gebrüll und im Hintergrund konnte man das Rauschen des Meeres hören. Ein kleiner blonder Bursche mit kurzen Hosen betätigte den Knopf mit gleich bleibender Faszination und leuchtenden Augen.
    Ich betrat ein nachgebautes Langhaus aus dunklen Zedernplanken und wurde von Gerüchen überrascht:

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