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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Zeichen. Er akzeptierte meine Entscheidung, und das war ein enormer Schritt nach vorn.
    Ich zog mich an und ging nach unten, aber der kleine Raum, in dem es sonst morgens so gut nach Kaffee roch, war leer. »Hallo«, rief ich, weil ich irgendwo Stimmen hörte.
    Auf einmal stand ein Mädchen in der Tür, eine Indianerin mit langem Haar, einem schmalen Gesicht und ebenso großen schwarzen Augen, wie Javid sie hatte.
    Â»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte sie freundlich aber mit einer gewissen Zurückhaltung.
    Ich war so verwirrt über ihre Anwesenheit, dass ich kein vernünftiges Wort hervorbrachte. Da tauchte Javid hinter dem Mädchen auf. »Hi Copper«, sagte er gut gelaunt. » Darf ich dir meine Kusine Alisha vorstellen? Alisha, das ist Sofie aus Deutschland. Bis zum Stammesfest wohnt sie mit ihrem Vater bei uns.«
    Alisha lächelte verhalten. Mehr als ein »Hi« brachte sie nicht heraus.
    Â»Schönen Gruß von deinem Vater«, sagte Javid zu mir. »Er hat gesagt, es kann spät werden und du sollst dir keine Sorgen um ihn machen.«
    Ich nickte. »War das alles?«
    Javid grinste breit. »Ich soll gut auf dich aufpassen.«
    Ich wurde rot und Alisha verließ mit verdrehten Augen den Raum. Das Ganze musste ihr ziemlich kindisch vorkommen.
    Javid schüttelte den Kopf und lachte. »Alisha ist ganz in Ordnung, glaub mir. Sie denkt nur manchmal, sie wäre schon erwachsen, dabei ist sie erst 17.«
    Â»Was macht sie hier?«, wollte ich wissen.
    Â»Meine Mutter ist heute nach Port Angeles gefahren, sie hat da eine Menge zu erledigen. Deswegen ist Alisha hier. Sie hilft in den Ferien manchmal aus und verdient sich ein paar Dollar.«
    Â»Und warum übernimmst du das nicht?«
    Â»Tu ich ja meistens. Aber mittwochs habe ich einen Job bei der Müllabfuhr, da verdiene ich besser als bei meiner Mutter.« Er blickte auf die Uhr an der Wand. »Ich muss gleich los. Was machst du heute?«
    Tja, das war eine gute Frage. Mein Vater war fort und würde erst am Abend wiederkommen. Javid hatte auch keine Zeit für mich, wie ich gerade erfahren hatte. Ich würde mir ein Plätzchen suchen, an dem ich in Ruhe malen konnte. Aber erst einmal musste ich zu einem Frühstück kommen. Ich hatte nicht nur Hunger, sondern auch Appetit. Großen Appetit. Aus unerfindlichen Gründen war er zu mir zurückgekehrt und meldete sich jetzt hartnäckig.
    Ich zuckte die Achseln und sagte: »Ich werde malen, irgendwo.«
    Javid nickte. Vermutlich hatte er nichts anderes erwartet. »Sieh dir doch mal unser Museum an«, schlug er vor. »Es lohnt sich. Ist zu Fuß gar nicht weit.«
    Â»Ja«, sagte ich, »vielleicht.« Keine Verabredung. Darüber war ich ziemlich enttäuscht, denn Javid würde ja sicherlich nicht den ganzen Tag mit Müll beschäftigt sein.
    Â»Hast du schon was gegessen?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    Â»Alisha ist in der Küche. Sie macht dir bestimmt was. Ich muss jetzt wirklich los«, sagte er, beugte sich über mein Gesicht und gab mir einen raschen Kuss auf den Mund. »Bis dann, Copper.« Und weg war er.
    Mein Bauch knurrte und mir war schwindelig, wobei ich nicht wusste, ob das Schwindelgefühl eine Folge meines leeren Magens oder doch eher die Nachwirkung von Javids Kuss war. Wie dem auch sei, um keinen Preis würde ich zu dieser Alisha in die Küche gehen und sie um etwas zu essen bitten. Ich ging zurück in mein Zimmer, aß einen Müsliriegel und einen Apfel und trank Leitungswasser aus dem Zahnputzbecher dazu.
    Dabei überlegte ich, wie ich meinen Vormittag verbringen wollte. Es war warm draußen. Inzwischen hatte die Sonne den Morgennebel, der wie graue Watte über dem Ort lag, fast besiegt. Ich zog das einzige Sommerkleid an, das ich besaß.Mama hatte es aus vielen blauen und grünen Stoffstücken genäht und mir zum Geburtstag geschenkt. Meine Mutter war Kostümschneiderin gewesen und konnte hervorragend nähen. Sie hatte versucht es mir beizubringen, aber der Umgang mit Nadel und Faden oder der Nähmaschine lag mir nicht. Ich brachte es darin nicht weit. »Sei nicht enttäuscht, Sofie«, hatte sie zu mir gesagt, »deine Fähigkeiten liegen eben auf einem anderen Gebiet. Das hat die Natur so eingerichtet, damit jeder Mensch die Chance hat, etwas Besonderes zu sein.«
    Seufzend blickte ich in den dunklen Spiegel an der Wand. Das Kleid war

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