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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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nickte. »Ja, zum Glück gibt es diese Jagdhütte, sonst würden wir ganz schön alt aussehen. Ich mach uns gleich ein Feuer, dann können wir die nassen Klamotten trocknen.«
    Tatsächlich hatte die Hütte einen Kamin und daneben lag säuberlich aufgestapelt genügend Holz, um ein Feuer eine ganze Weile brennen zu lassen. Javid wusste auch, wo Streichhölzer zu finden waren, und bald prasselte ein gemütliches Feuer im Kamin. Der Duft von Zedernholz durchzog den Raum.
    Mit klammen Fingern quälte ich mich aus meiner Schwimmweste, da wandte Javid seine Aufmerksamkeit wieder mir zu. »Du musst auch die anderen nassen Sachen ausziehen, Copper, sonst wirst du krank.«
    Â»Was ist mit dir?«, fragte ich trotzig.
    Â»Ich werde mich auch ausziehen, wenn du nichts dagegen hast«, antwortete er und ich sah die vertrauten spöttischen Funken in seinen schwarzen Augen. Wir quälten uns aus den nassen Sachen und hängten sie über die Stangen an der Decke. Javid hatte sich bis auf seine Shorts ausgezogen, während ich immer noch mein T-Shirt trug, das wie alles andere klatschnass war. Er zeigte darauf und sagte: »Das wird auch ausgezogen.«
    Â»Ich habe aber gar nichts drunter«, protestierte ich zähneklappernd und rieb mir die nackten Oberarme.
    Â»Hey«, meinte er grinsend, »dann ist heute ja mein Glückstag.«
    Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Verschämt drehte ich mich von Javid weg und zog das nasse Hemd aus. Es war ein Gefühl, als ob ich mich häutete. Als ob ich mein letztes Geheimnis preisgab.
    Mit vor der Brust verschränkten Armen drehte ich mich wieder zu ihm um. Javid hielt eine rot gemusterte Decke auf und legte sie um meine Schultern. Die Decke war alt, sie kratzte und roch verräuchert, aber sie war trocken und wärmte augenblicklich.
    So stand ich barfuß vor dem Kamin und genoss die Wärme, die er anfing auszustrahlen. Javid legte neue Scheite aufs Feuer, bis es prasselte und hell aufloderte.
    Erst als das Klopfen und Vibrieren in meinem Inneren nachließ,wurde ich mir der Urgewalten bewusst, die da draußen tobten. Der Sturm schleuderte Regentropfen, Tannennadeln und Zweige gegen die Scheiben des kleinen Fensters auf der Nordseite. Die Balken der Hütte ächzten und knarrten bedrohlich, als wollte sie jeden Augenblick über uns zusammenbrechen und uns dem dunkelgrünen Sturm preisgeben.
    Das Tosen des Meeres drang bis zu uns herauf. Blitze zuckten in Abständen und krachender Donner folgte, der in bedrohliches Fauchen überging. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen so zornigen Sturm erlebt. Land, Himmel und Meer vereinigten sich in einem düsteren, wilden Tanz.
    Ich stand neben Javid vor dem kleinen Fenster und starrte in die heulende Finsternis hinaus. Kurz darauf merkte ich, dass er auffallend blass war und einen seltsamen Ausdruck im Gesicht hatte, als hätte er einen Geist gesehen.
    Â»Was ist denn los?«, flüsterte ich.
    Statt einer Antwort schüttelte er nur den Kopf, als könne ich das, was er da draußen gesehen hatte, sowieso nicht begreifen. Seine Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. Ich ging näher an die Scheibe heran, bis ich sie fast mit der Nase berührte. Aber ich konnte nichts anderes erkennen als dunklen Sturm, der die Grenze zwischen Land und Meer mit seiner Macht verwischte.
    Plötzlich zuckte ein besonders heller Blitz und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Da draußen am Meeresufer standen lange Zedernhütten, nur sekundenlang in das kurze, grelle Licht des Blitzes getaucht.
    Â»Was war das?«, entfuhr es mir überrascht. »Wo sind wir hier eigentlich?«
    Wieder erleuchtete ein Blitz das Ufer und ich sah Totempfähle, die sich wie drohende Riesenfinger in den Himmel streckten. Kanus lagen am Ufer und aus den Dachluken der Zedernhäuser stieg Rauch. Ein altes Dorf – lebendig gewordene Vergangenheit. Das war nicht möglich.
    Ich wandte meinen Kopf und an Javids erschrockenem Gesichtsausdruck konnte ich erkennen, dass er dasselbe sah. Und dass er Angst hatte. Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu.
    Â»Es ist Ozette.« Javids Stimme klang heiser.
    Â»Aber …?« Ozette gab es nicht mehr, das wusste ich genauso gut wie er. Wie war das nur möglich? Hielt Sisiutl, das Ungeheuer des Meeres, uns zum Narren?
    Noch einmal blitzte es und erleuchtete die Szenerie des alten Dorfes für einen

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