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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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aufgerissenen Augen starrte ich auf Himmel und Meer, die plötzlich eins zu werden schienen. Was für Farben!, schoss es mir durch den Kopf. Dieses irre Grün, das ich nie vergessen würde, weil es mit dem Schlagen der Wellen verbunden war. Die tosende Brandung rollte mit Macht auf das nahe Ufer zu und Javid versuchte so gut er konnte das Boot in diese Richtung zu steuern.
    Die Wellen, schäumend und hungrig, wühlten den Meeresboden auf. Ich dachte an die Geschichte von Sisiutl, dem Furcht erregenden Ungeheuer im Ozean, das wir vermutlich durch irgendetwas erzürnt hatten und das uns jetzt seine ganze Macht zeigen wollte. Sisiutl sucht nach denen, die ihre Angst nicht beherrschen können, hatte Javid erzählt und mir geraten dem Ungeheuer ins Gesicht zu sehen, mich von ihm nicht erschrecken zu lassen.
    Ich versuchte es, auch wenn mich das große Kraft kostete. Das Schlauchboot drehte sich auf den Wellen, aber Javid brachte es jedes Mal auf den richtigen Kurs zurück. Keine Ahnung, wie er das anstellte. Der Strand war schon zum Greifen nah. Blitze zuckten am Himmel und ihr weißes Licht schoss wie kaltes Feuer herab. Die Angst kam mit einer weiteren gründunklen Welle – wie der geöffnete Rachen von Sisiutl – und schon wollte ich hilflos meine Augen schließen. Doch plötzlich stieß das Schlauchboot gegen das sandige Ufer. Javid war mit einem Satz draußen, um es ein Stück weiter an Land zu ziehen, bevor die nächste Welle es wieder auf das Meer hinausschleudern konnte.
    Â»Spring raus, los komm schon!«, brüllte er durch den Sturm, und als ich nicht reagierte, zerrte er grob an meinem Arm, bis ich draußen war. Ich hatte überhaupt keine Kraft mehr und blieb liegen, wo ich war, obwohl ich Javids warnende Worte hörte.
    Die nächste Welle, die den Strand überspülte, griff nach mir und drohte mich ins Meer zu ziehen. Unglaublich, was für eine Kraft das Wasser hatte und wie hilflos ich mich fühlte. Ich schluckte einen sandigen Schwapp Salzwasser, hustete und spuckte.
    Auf einmal wurde ich hochgehoben und vom Ufer weggetragen. Ehe ich mich versah, saß ich im Sand, angelehnt an einen großen, moosbewachsenen Stein. Javid rannte zum Boot zurück, um es so weit über das Ufer zu ziehen, bis es von den Wellen und der Flut nicht mehr fortgespült werden konnte. Zur Sicherheit band er es mit den Tauen an eine große Wurzel, die noch zur Hälfte fest im Boden verankert war.
    Ich kauerte erschöpft auf dem nassen Sand, als er von einer neuen, riesigen Welle überspült wurde. Javid schnappte meine Hand und riss mich nach oben. »Mach jetzt bloß nicht schlapp, Copper.« Er zog mich vom Wasser fort. »Komm!«, sagte er. »Nicht weit von hier ist eine Hütte. Da können wir bleiben, bis der Sturm vorüber ist.«

22. Kapitel
    U m uns herum war es stockfinster geworden und im strömenden Regen konnte ich kaum erkennen, wohin Javid mich zog. Salzwasser brannte in meinen Augen und Sand knirschte zwischen meinen Zähnen. Nur weg vom Meer, dachte ich. Nur weg von Sisiutl, dem Ungeheuer, in dessen Ungnade wir gefallen waren.
    Ich war so nass und kalt und klamm, dass mich meine letzten Kräfte schnell verließen. Meine Beine fühlten sich an, als hätte ich Blei in den Schuhen. Aber Javid zog mich und schob mich, als wäre ich ein Fliegengewicht. Schließlich erreichten wir den Waldrand und nun sah ich auch die Hütte. Es war ein windschiefes Etwas, gebaut aus dicken Zedernplanken. Zu meiner großen Erleichterung war die Tür nicht verschlossen, als Javid daran rüttelte. Er schob mich ins Innere der Hütte und verriegelte die Tür hinter sich. Einen Augenblick lehnte er erschöpft dagegen, heftig atmend, während kalte Rinnsale aus seinen Kleidern flossen.
    Â»Das war knapp«, japste er. »Verdammt, ich hätte es wissen müssen.«
    Â»Aber vor ein paar Minuten war alles ganz noch ganz friedlich gewesen«, sagte ich matt. Die Arme um meinen Leib geschlungen, lehnte ich zitternd an der Wand. Die Beine knickten mir weg und ich ließ mich auf eine Holzbank sinken. In der Hütte war es trocken und es roch nach gedörrtem Fisch.
    Â»Ja, ich habe mich auch täuschen lassen«, erwiderte er, »aber ich hätte es besser wissen müssen.« Das klang ziemlich zerknirscht.
    Â»Jetzt sind wir ja in Sicherheit«, versuchte ich ihn und mich zu trösten.
    Javid

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